Historische Zeitungen per Mausklick

22.04.2013 von Ines Godazgar in Forschung, Wissenschaft
Kaum zu glauben: In den Grenzen des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt gab es früher eine rege, abwechslungsreiche Zeitungslandschaft. An insgesamt 180 Orten wurden die unterschiedlichsten Titel herausgegeben. Viele davon lagern bis heute in der Universitäts- und Landesbibliothek in Halle, in Deutschlands drittgrößter Zeitungssammlung. Um sie künftig einfacher einem größeren Publikum zugänglich zu machen, hat im Februar ein groß angelegtes Digitalisierungsprogramm begonnen.
Dr. Dorothea Sommer mit einer Ausgabe des Halleschen Tagblatts in den Räumen der ULB
Dr. Dorothea Sommer mit einer Ausgabe des Halleschen Tagblatts in den Räumen der ULB (Foto: Michael Deutsch)

Die Wöchentliche Relation ist die älteste Zeitung aus dem Fundus der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB). Erstmals erschienen am 7. Januar des Jahres 1709 ist das regionale Blättchen inzwischen eine kleine Kostbarkeit. Die Hürden für all jene, die sie sich im Original anschauen oder lesen wollen, liegen bisher allerdings ziemlich hoch: Nicht mehr und nicht weniger als ein Nachweis darüber, dass der Nutzer das Werk zu wissenschaftlichen Zwecken einsehen will, ist erforderlich.

Liegt er vor, darf der Interessent die historischen Blätter im Beisein einer Fachkraft im Lesesaal einsehen. Der Grund für die strengen Regeln: Die Papierqualität ist zum Teil so schlecht, dass die wertvollen Originale zu zerfallen drohen.

Täglich werden in der ULB historische Drucke - und bald auch Zeitungen - gescannt.
Täglich werden in der ULB historische Drucke - und bald auch Zeitungen - gescannt. (Foto: Maike Glöckner)

Doch bald schon soll die Arbeit mit historischen Zeitungen wesentlich einfacher werden. Nachdem an der ULB bereits seit 2007 diverse Projekte zur Digitalisierung von historischen Büchern über die Bühne gegangen sind, laufen seit Anfang Februar die Vorbereitungen zu einem groß angelegten Digitalisierungsprojekt von Zeitungen.

„Damit können künftig Wissenschaftler und auch private Nutzer die Titel online und in hoher Qualität einsehen“, sagt die stellvertretende Leiterin der ULB, Dr. Dorothea Sommer, die das Projekt federführend betreut.

Für die kommenden zwei Jahre hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft der ULB und anderen beteiligten großen wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt. Die Arbeit wird im Verbund mit anderen Bibliotheksstandorten laufen.

Mit der Digitalisierung von Zeitungen betreten diese Einrichtungen Neuland. In einer Pilotphase sollen deshalb zunächst vor allem technische Fragen geklärt werden. Schließlich, so Dr. Sommer, verfüge man zwar bereits über reichlich Erfahrung bei der Digitalisierung von Büchern. Diese könnten jedoch nicht automatisch auf Zeitungen angewendet werden.

Deutschlands drittgrößte Zeitungssammlung steht Besuchern der ULB zur Verfügung.
Deutschlands drittgrößte Zeitungssammlung steht Besuchern der ULB zur Verfügung. (Foto: Maike Glöckner)

Ein Grund dafür seien die vollkommen unterschiedlichen Formate, die wechselnde Periodizität und die damit verbundene unterschiedliche Herangehensweise an die Arbeit. Eine Schwierigkeit besteht darin, vor allem sehr große Zeitungsformate online so darzustellen, dass die Inhalte gut präsentiert werden können. Anschließend müssen sie zudem noch sinnvoll strukturiert werden.

Was bedeutet das konkret? „Wir werden in Zusammenarbeit mit der Deutschen Nationalbibliothek ein Verfahren erarbeiten, das dem Nutzer ein seitengenaues Zitieren von Artikeln ermöglicht“, sagt Dr. Sommer. Das bedeutet: Durch den Einsatz modernster Computertechnik lassen sich sogar einzelne Zitate oder Artikel der Zeitung immer wieder finden. Auch eine Volltext-Recherche nach bestimmten Stichworten wird möglich.

Der Startschuss für die eigentliche Zeitungsdigitalisierung fällt, sobald alle technischen Voraussetzungen vorhanden sind. Zunächst werden alle an der ULB nachgewiesenen Titel mit speziellen Scannern in einem abgedunkelten Raum fotografiert. Begonnen wird mit den halleschen Zeitungen, genauer mit dem Hallischen patriotischen Wochenblatt, das 1799 erstmals in der Saalestadt erschienen ist und das später dann als Hallesches Tageblatt weiter geführt wurde.

Der Fundus der ULB zeugt davon, wie alt das Zeitungswesen bereits ist. Seine Anfänge reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. In Halle lagern sowohl regionale als auch überregionale Titel. Der Bestand ist enorm. Allein für das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts sind 830 Titel nachgewiesen. Ihr Zustand ist unterschiedlich. Vor allem die im 19. Jahrhundert oder später erschienenen Exemplare drohen zu zerfallen. Grund dafür sind Zellulosefasern, die dem Papier ab dem 19. Jahrhundert bei der Herstellung zugesetzt worden sind. „Daraus resultiert ein hoher Säuregehalt, der sehr problematisch für den Erhalt der Blätter ist“, erklärt Dr. Sommer.

Fest steht jedoch, dass die historischen Zeitungen im Fundus der ULB sehr gefragt sind. Viele Wissenschaftler sind auf sie als Quellen für ihre Arbeit angewiesen. Als Beispiel nennt Dr. Sommer einen Musikwissenschaftler aus Großbritannien: Seit vielen Jahren arbeitet er an der Halleschen Händelausgabe mit. In historischen halleschen Zeitungen hofft er Hinweise darauf zu finden, wie oft Händel sich nach seinem Weggang aus der Saalestadt nochmals in Halle aufgehalten hat. Aber auch Hobby-Historiker und Privatleute interessieren sich häufig für regionale Zeitungstitel.

Am Ende des Digitalisierungsprojekts soll die Einrichtung eines bundesweiten internetbasierten Zeitungsportals stehen. Im Gegensatz zu Ländern wie Österreich, Großbritannien oder Neuseeland gebe es so etwas in Deutschland bisher nicht. „Dadurch können wir den Bestand allen Nutzern unabhängig von ihrem Wohnort zugänglich machen“, so Dr. Sommer, die noch auf einen weiteren Vorteil der Zeitungsdigitalisierung verweist: „Sie ist nicht zuletzt ein wirksamer Schritt, den vorhandenen Bestand indirekt zu schützen.“ Schließlich werden die historischen Originale dadurch besser vor weiterer Abnutzung bewahrt. Eine derartige Bestandspflege sei teuer und wichtig zugleich, „denn nur wenn man sie ernst nimmt, ist kulturelle Überlieferung anhand der Originale möglich“

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