Positive Psychologie

12.10.2017 von Tom Leonhardt in Wissenschaft, Kontext
Angst, Depressionen und Zwangsstörungen sind die großen Themen der Psychologie. Von Zufriedenheit oder Verspieltheit ist selten die Rede. Die Positive Psychologie befasst sich genau mit diesen Aspekten und erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Der Psychologe PD Dr. René Proyer erklärt die Hintergründe.
Die Positive Psychologie untersucht unter anderem, wie sich die Zufriedenheit von Menschen beeinflussen lässt.
Die Positive Psychologie untersucht unter anderem, wie sich die Zufriedenheit von Menschen beeinflussen lässt. (Foto: fotolia.com - #126378752)

Oft erschrecken die Menschen, wenn man ihnen sagt, man ist Psychologe. „Da muss ich aufpassen, was ich erzähle. Du analysierst mich gleich“, habe ich im Studium häufig gehört. Das gängige Bild ist offenbar bis heute, dass Psychologen nur den Menschen helfen, denen es nicht gut geht – mit einer psychologischen Störung. Das spiegelt sich tatsächlich auch in der Forschungsliteratur wider: In einem Übersichtsartikel über die psychologische Forschung von 1887 bis 2001 kommt David Myers zu dem Ergebnis, dass mehr als 79.000 Artikel über Depressionen geschrieben wurden, dagegen nur knapp 8.000 über Lebenszufriedenheit und Glück.

Die Positive Psychologie versucht, das bisherige Themenspektrum der Psychologie zu ergänzen, aber nicht zu ersetzen: Im Zentrum stehen hier zum Beispiel die Tugenden, Charakterstärken und positiven Eigenschaften eines Menschen. Diese gilt es, empirisch fundiert zu erforschen. Als eigenständige Disziplin ist die Positive Psychologie dabei noch recht jung: Erst 1998 prägte der US-Amerikaner Martin Seligman als Präsident der American Psychology Association den Begriff und forderte, dass die positiven Eigenschaften des Menschen stärker in den Fokus rücken sollten.

Zufriedenheit ist nicht gleich Glück

Dieser Zuschnitt hat der Positiven Psychologie häufig den Namen Glücksforschung eingebracht. Der Begriff greift aber zu kurz: Mit Glück meinen wir im Alltag alles Mögliche, vor allem aber Zufälle und das Schicksal. So etwas lässt sich nur schwer erforschen. Außerdem befasst sich die Positive Psychologie auch mit weiteren Eigenschaften, wie Kreativität, Neugier oder Verspieltheit. Mit Glück im umgangssprachlichen Sinn hat das nicht mehr viel zu tun.

Anders als einige ihre Vorgänger – im Laufe der Zeit gab es immer wieder Tendenzen, die positiven Eigenschaften eines Menschen zu betonen – arbeitet die Positive Psychologie streng empirisch fundiert: Im Rahmen von Interventionsstudien etwa werden bestimmte Variablen definiert und erforscht. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir unsere Versuchsteilnehmer dazu auffordern, für eine Woche täglich neun schöne Dinge zu notieren, die sie in ihrem Umfeld und ihrer Umwelt beobachten. Wir messen dann vor und nach der Intervention die subjektive Zufriedenheit der Probanden und vergleichen diese Ergebnisse mit einer Placebo-Gruppe, die die Intervention nicht durchgeführt hat.

Es gibt keine einfachen Lösungen

René Proyer
René Proyer (Foto: Maike Glöckner)

Ein weiterer Bereich der Forschung sind die grundlegenden Mechanismen, die Menschen zufriedener machen und ihre Folgen. Aus früheren Studien ist bekannt, dass positive Emotionen dazu anregen, in einer bestimmten Situation mehr Handlungsalternativen zu sehen. Eine humorvolle Bemerkung etwa kann dabei helfen, eine angespannte, festgefahrene Situation aufzulockern. Daraus ergibt sich ein breiteres Handlungsrepertoire für künftige Situationen, was wiederum motivierend wirken kann. Im Idealfall entsteht dabei eine Art Aufwärtsspirale, die zur positiven Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Die Überlegungen lassen sich auch auf Schulen übertragen: Die Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel angeleitet werden, sich gegenseitig zu helfen oder knifflige Situationen zu meistern. Dafür braucht es aber sicherlich kein komplettes Schulfach „Glück“. Vielmehr müssten die Interventionen Teil des normalen Unterrichts werden.

Viele Therapeuten und Berater wollen aus unseren wissenschaftlichen Studien praktisch umsetzbare, präskriptive Normen ableiten: „Tue dies und du wirst glücklich.“ Das ist für mich als Wissenschaftler problematisch. In meiner Forschung erhebe ich Daten und beschreibe diese. Es gibt keine einfachen Lösungen, wie sie in Selbsthilfebüchern vorgetragen werden. Das sind unseriöse Heilsversprechen. Die Psychologie hat es lange versäumt, dieses Feld selbst mit verlässlichen Informationen abzudecken. Dabei wollen sich die Menschen entwickeln und sie wollen wissen, wie sie zufriedener werden können.

Der Positiven Psychologie geht es aber gar nicht darum, alle Menschen zu dauergrinsenden „Glücksrobotern“ zu machen, die zwanghaft positiv denken und negative Erlebnisse, Krisen und Probleme negieren. Das wäre naiv und entspräche auch gar nicht meinem Naturell als Wiener, der bekanntlich hin und wieder gerne grantig ist. (lacht) Anders als traditionelle Psychologen würden wir in negativen Situationen aber vielleicht schauen, wie Menschen aus Krisen gestärkt hervorgehen können. Das Feld der „Positive Therapien“ gehört zu den vielen offenen Fragen, die von der Positiven Psychologie noch beantwortet werden müssen. Als Disziplin steht sie noch am Anfang.

Der Text ist in der Print-Ausgabe in der Rubrik „Kontext“ erschienen. Darin setzen sich Wissenschaftler der Martin- Luther-Universität mit einem aktuellen Thema aus ihrem Fach auseinander, erklären die Hintergründe und ordnen es in einen größeren Zusammenhang ein.

Zur Person

PD Dr. René Proyer vertritt zurzeit die Professur für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Uni Halle. Der Österreicher wurde an der Uni Zürich promoviert und habilitierte sich dort später mit einer Arbeit über Positive Psychologie. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Lebenszufriedenheit, Verspieltheit und das Lachen.

Kontakt: PD Dr. René Proyer
Institut für Psychologie
Telefon: +49 345 55-24362
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