Luthers Erbe
Beim großen Luther-Event 2017 spielt die Martin-Luther-Universität, die seit 83 Jahren den Namen des Reformators trägt, eine Sonderrolle. Ein halbes Jahrtausend ist es her, dass Luther als Theologieprofessor an der alten Wittenberger Universität – Leucorea genannt – lehrte und von hier aus die weltverändernde Reformation in Bewegung setzte. Als mit dem Wiener Kongress die Leucorea schließlich nach Halle verlegt und dort 1817 Teil der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg wurde, trat man quasi das geistige Erbe Luthers an. Und das verpflichtet. Neben regen Forschungsaktivitäten zur Reformationsgeschichte und der damit einhergehenden Ausrichtung des im August 2017 geplanten Weltkongresses zum Thema „Kulturelle Wirkungen der Reformation“ beteiligt sich die Uni Halle auch an der Lutherausstellung „Here I stand“, die Anfang Oktober in den USA gestartet ist.
Das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und weitere Partner realisieren gemeinsam mit drei US-amerikanischen Museen drei Ausstellungen zum Leben und Wirken des Reformators. Die Ausstellungen laufen im Minneapolis Institute of Art, im Morgan Library & Museum in New York sowie in der Pitts Theology Library der Emory University Atlanta. „Man kann getrost behaupten, dass kurz vorm Reformationsjubiläum die hiesige Museums- und Gedenkstättenlandschaft ,Luther-leer‘ gefegt ist“, scherzt der Leiter des halleschen Universitätsarchivs und der Zentralen Kustodie Dr. Michael Ruprecht. Kein Wunder. „Fast alle bedeutsamen Exponate sind zu dieser Zeit in den USA.“
„Die Wittenberger Universität war die Wiege der Reformation“
Auch die Uni Halle und die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) ist mit Leihgaben vertreten. „Vom Thema steht die 1502 vom Kurfürst Friedrich III. gegründete Wittenberger Universität Leucorea im Mittelpunkt. Sie war das Zentrum, ja die Wiege der Reformation“, betont der Historiker. Zwei besonders wertvolle Exponate aus Wittenberg steuert die ULB bei: Das erste Matrikelband der Universität Wittenberg, in dem für das Jahr 1508 auch ein gewisser fr. Martinus Luder des Mansfeldt eingetragen wurde, sowie ein 1518 in Wittenberg gedrucktes Pappheftchen mit Luthers Erläuterungen seiner 95 Thesen.
Man merkt schnell, dass der museale Exponate-Transfer nach Übersee keine Routine ist. Die kostbarsten, stets sicher verwahrten Stücke der Universität verlassen Halle. Mit dabei sind die Gründungsurkunde Kaiser Maximilians für die Uni Wittenberg von 1502, die päpstliche Bestätigung der Gründung aus dem Jahr 1507 sowie das Siegeltypar des ersten Rektors von 1514 zum Siegeln von Urkunden. Zur wertvollen Fracht gesellen sich zudem die vier ältesten Rektoren-Zepter aus den Jahren 1502 und 1509. Ihr Wert: unschätzbar. „Wir haben lange beraten, ob wir wirklich die Originale hergeben. Es gibt schließlich auch Duplikate“, sagt der 37-Jährige.
Doch man war sich einig, dass der Charme einer solchen Ausstellung von echten Leihgaben lebt. „Mit nichts anderem rechnen auch die Amerikaner, die Luther verehren.“ Dennoch gehe man ein hohes Risiko ein. Eigens für den Transport hat der Präparator Michael Stache vom Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen deshalb Spezialkisten angefertigt. Durch einen 3-D-Scan der Zepter konnten die inwendigen Dämmmaterialien passgenau ausgefräst werden. „Das ist die sicherste Transportverpackung, die es für die Zepter je gab“, sagt Ruprecht.
Universitätsverbund lädt zum Weltkongress
Doch warum gibt es an der Martin-Luther-Universität eigentlich so wenig Handfestes von Luther? Das kann Prof. Dr. Ernst-Joachim Waschke, der Rektoratsbeauftragte fürs Reformationsjubiläum und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Leucorea in Wittenberg, beantworten. „Natürlich war die Leucorea Luthers Universität. Hier war er von 1513 bis 1546“, sagt der 67-Jährige. Dass andere Standorte mehr Exponate besitzen, hänge mit dem Schmalkaldischen Krieg von 1546 zusammen.
Durch diesen ging das Ernestinische Wittenberg an das Fürstengeschlecht der Albertiner verloren. „Die Albertiner zogen sich auf ihre thüringischen Gebiete zurück und gründeten ihre Hochschule in Jena. Dabei nahmen sie die alte Bibliothek Luthers aus Wittenberg mit. Wichtige Lutherschriften finden sich deshalb heute in Jena, Coburg, Dresden und Weimar“, sagt Waschke, der zurzeit gemeinsam mit dem Theologen PD Dr. Christian Senkel den Weltkongress zum Thema „Kulturelle Wirkungen der Reformation“ vorbereitet.
Die öffentliche Tagung, die vom 7. bis 11. August 2017 läuft, wird im Verbund der drei Unis Halle, Jena und Leipzig ausgerichtet. Rund 250 Gäste aus zehn Ländern, darunter aus Afrika, Lateinamerika und den USA, werden erwartet. Bereits 2006 wurde auf Initiative von Rektor Prof. Dr. Udo Sträter die Reformationsgeschichtliche Sozietät gegründet. 18 Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen suchen im Diskurs nach Antworten oder verhelfen dazu, Fragen richtig zu stellen. „Die alte Frage ,In welchem Ausmaß war die Reformation auch ein politisches Ereignis?‘ taucht auf alle Fälle im Kongress auf“, verrät Senkel. Dank Landes-Förderung konnte die Universität auch fünf Stipendien für Forschungsarbeiten zur Kongress-Thematik vergeben.
Der Kongress und die Sozietät sind Eckpfeiler, um die Stiftung Leucorea weltweit als ein Zentrum für reformationshistorische Forschungen zu etablieren. Für Ernst-Joachim Waschke ist Luther untrennbar mit Wittenberg verbunden. Er appelliert an Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diesen historischen Bonus besser auszuspielen. „Wittenberg ist die Wiege der Reformation“. Daran gibt es nichts zu rütteln. Das Bekenntnis hierfür müsse noch deutlicher ausfallen. Was hätte wohl Luther dazu gesagt? Vielleicht: „Nur, wer sich entscheidet, existiert.“