Nutricard soll Lebensmittel gesünder machen
Wie gesund ein Lebensmittel für den Menschen ist, das steht bei seiner Herstellung nicht unbedingt im Vordergrund. „Nehmen Sie zum Beispiel Weißbrot. Lange Zeit war die Industrie stolz auf das weiße, kleiefreie Mehl, das sie herstellen konnte“, sagt Prof. Dr. Gabriele Stangl, die das Nutricard-Projekt an der Universität Halle koordiniert. „Bis Ernährungswissenschaftler feststellten, wie wichtig Ballaststoffe für unsere Gesundheit sind.“ Seitdem ist die Auswahl an Vollkornprodukten wieder gestiegen.
Im Rahmen von Nutricard will die Professorin für Humanernährung gemeinsam mit ihren Kollegen von den Universitäten in Jena und Leipzig sowie mit Partnern aus der Industrie gesündere Lebensmittel für das Herz entwickeln. Und nicht nur das: Zugleich wollen die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen Ernährung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen intensiver erforschen und mit entsprechenden Kommunikations- und Bildungskonzepten gesunde Ernährung in Mitteldeutschland stärker in den Fokus rücken. In Thüringen und Sachsen-Anhalt leben besonders viele Kinder mit Übergewicht – ein Risikofaktor. Auch bei der Herzinfarkt-Sterblichkeit steht Sachsen-Anhalt unter allen Bundesländern an zweiter Stelle.
Im September 2014 haben die drei mitteldeutschen Unis vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Zuschlag für das Kompetenzcluster Nutricard erhalten, im Mai dieses Jahres haben die Wissenschaftler ihre Arbeit aufgenommen. Das Verbundprojekt wird vom BMBF in den ersten drei Jahren mit insgesamt knapp fünf Millionen Euro gefördert. Mehr als 70 Partner, darunter Unternehmen ebenso wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sind bereits beteiligt.
Während die Leipziger derzeit testen, wie sie insbesondere die gesättigten Fettsäuren in Wurst reduzieren und ersetzen können, wird in Jena die blutdrucksenkende Wirkung von ungesättigten Omega-3-Fettsäuren untersucht. Gemeinsam mit Medizinern des Universitätsklinikums Halle erforscht Gabriele Stangl indes, wie sich hohe Phosphatmengen in Lebensmitteln auf das Herz auswirken und ob Vitamin-D-Mangel die Herzfunktion beeinträchtigt.
Vitamin-D aus dem Hühnerstall?
Für ein zweites Projekt begibt sie sich in den Hühnerstall: Durch mehr Licht im Stall will sie dort den Vitamin-D-Gehalt der Eier erhöhen. Denn auch ein niedriger Vitamin-D-Spiegel wird mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zahlreichen anderen Krankheiten wie Knochenbrüchigkeit, Krebs, Muskelschwäche und bestimmten Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht.
Mehr als die Hälfte aller Menschen in Deutschland ist in den Wintermonaten nur mangelhaft mit dem Vitamin versorgt. Denn um selbst genügend Vitamin D zu produzieren, braucht der Mensch Sonnenlicht auf seiner Haut. Über Lebensmittel kann das Vitamin bislang kaum in ausreichenden Mengen aufgenommen werden. Die derzeit einzige Lösung seien Nahrungsergänzungsmittel. „Aber gerade diejenigen, die eine solche Zusatzversorgung benötigen, erreichen wir oftmals nicht“, weiß Stangl.
Vitamin-D-reiche Eier könnten eine Lösung sein. Wie der Mensch können auch Hühner durch Lichteinstrahlung höhere Mengen an Vitamin D selbst produzieren. Das machen sich die Forscher um Gabriele Stangl zunutze. Derzeit beobachten sie, wie die Hühner auf ein Ultraviolett-Licht reagieren. „Wir orientieren uns dabei an einem Tag mit drei bis sechs Sonnenstunden. Die Tiere haben aber die Wahl“, betont Stangl. „Sie können sich unter der Lichtquelle aufhalten, müssen es aber nicht.“ Die ersten Tests haben ergeben, dass sich das Verhalten der Hühner durch das Licht nicht verändert. „Es scheint sie zumindest nicht zu stören.“ In einem nächsten Schritt soll der Versuch in einem Großstall in der Region durchgeführt werden.
Ein Ziel der Forscher: Weniger Salz in Lebensmitteln
Die frühzeitige Zusammenarbeit mit Unternehmen der Region ist ein zentraler Bestandteil des Kompetenzclusters. Zu diesem Zweck wurde am Weinberg-Campus ein eigenes Innovationsbüro eingerichtet, das der Ernährungswissenschaftler Dr. Toni Meier, leitet. „Über das Büro sucht und hält Toni Meier den Kontakt zu den Unternehmen in der Region.“ Anhand von Befragungen wollen die Nutricard-Forscher zunächst mehr über die Interessen und Erwartungen der Firmen erfahren, um herauszufinden, wo konkrete Anknüpfungspunkte bestehen und wie eine Kooperation aussehen könnte.
Nach drei Jahren wird das Cluster dann vom BMBF evaluiert. Ein zentrales Thema, dem sich die Forscher in einer möglichen zweiten Förderphase widmen wollen, kann Gabriele Stangl bereits heute benennen: Nicht nur gesättigte Fettsäuren sollen in Lebensmitteln langfristig reduziert werden, auch der Salzgehalt soll sinken. „Wir wissen, dass der hohe Salzgehalt in den Lebensmitteln, die derzeit produziert werden, bei vielen Menschen zu hohem Blutdruck führt und damit auch das Risiko für viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Uns stellt sich deshalb die Frage: Wie weit kann man den Salzgehalt von Lebensmitteln senken, ohne dass es für den Menschen geschmacklich einen Unterschied macht?“
In den USA sei es bereits gelungen, durch eine Absprache in der Lebensmittelindustrie den Salzgehalt in Lebensmitteln zu senken. Damit vergleichbare Erfolge auch in Mitteldeutschland erzielt werden können, wollen die Wissenschaftler ihre Forschung nach der zweiten Förderphase in einem mitteldeutschen Zentrum für Ernährungsforschung verstetigen.