Psychologie für alle
An die erste Anfrage kann sich Dr. Annegret Wolf noch gut erinnern: In der Morning-Show des Radiosenders MDR Sputnik ging es um das Einparken – und vermeintliche Unterschiede zwischen Mann und Frau, die sie als Psychologin erklären sollte. Fünf Jahre ist das her. Jahre, in denen die heute 32-Jährige von Presse, Funk und Fernsehen – von Regionalzeitungen ebenso wie von MDR, Deutschlandfunk oder ZDF – immer wieder kontaktiert wurde, wenn es darum ging, menschliches Verhalten wissenschaftlich fundiert zu erläutern. Dabei war sie aufgrund der Corona-Pandemie zuletzt gefragt wie nie: Warum hamstern Menschen Klopapier? Welche Auswirkungen haben Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen? Macht die Krise anfälliger für Verschwörungstheorien? Viele Fragen, die Wolf zum Beispiel gemeinsam mit Moderator Raimund Fichtenberger in einem MDR-Podcast beantwortete – anfangs fast täglich, später wöchentlich, dann anlassbezogen.
Forscherin und Dienstleisterin
Das Engagement von Forschenden in der Vermittlung von Wissen an die breite Öffentlichkeit wird schon seit Jahren diskutiert, in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie durchaus intensiver. Dabei haben bisher auch Argumente wie die fehlende systematische Belohnung oder gar die Missbilligung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft wegen vermeintlicher Profanisierung von Forschung eine Rolle gespielt. Annegret Wolf fällt es trotzdem nicht schwer zu erklären, warum die Wissenschaftskommunikation sie alles andere als abschreckt: „Ich fühle mich in gewisser Art und Weise als Dienstleisterin.“ Für sie, die das Verhalten der Menschen erforscht, sei es logische Konsequenz, dies nicht im stillen Kämmerlein zu tun. Sondern psychologische Erkenntnisse auch denen mitzugeben, die sie betreffen. Zudem ist Wissenstransfer für sie keineswegs einseitig. Allein durch Medienanfragen, aber auch durch das Feedback auf Beiträge erfahre sie selbst, was Menschen bewegt – und welche Perspektiven die Forschung noch einnehmen könnte, sagt Wolf.
Durch Anfragen im Zusammenhang mit den Silvester-Vorfällen 2015 in Köln oder dem Phänomen der „Wutbürger“ wurden auch zwei ihrer jüngsten Studien initiiert, zur Kriminalitätsfurcht in Deutschland. Für Wolf stellte sich die Frage, welche Rolle dabei die allgemeine Unzufriedenheit von Menschen spielt, untersucht hat sie das mit Hilfe einer Online-Befragung. Das Ergebnis: Menschen, die unzufrieden mit der Politik sind, den Osten Deutschlands als „abgehängt“ empfinden oder wirtschaftlich schlecht dastehen, haben mehr Angst, Opfer von Straftaten zu werden. Statistiken über sinkende Kriminalitätsraten, schlussfolgert die Forscherin, sind somit nicht allein entscheidend, wenn es um gefühlte Sicherheit geht.
Wolf hat bis 2012 in Halle Psychologie studiert, 2019 wurde sie an der MLU promoviert. Themen ihrer Abschlussarbeiten waren Aggressivität und Aggression, zum Beispiel bei der Frage, wie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Informationsverarbeitung beeinflussen. „Menschen, die selbst eher auf Krawall gebürstet sind, nehmen Ärger und Aggression im Gegenüber schneller wahr und interpretieren diese auch fälschlich in Gesichtsausdrücke anderer hinein“, sagt sie. Erweitert hat die Psychologin dies in ihrer Dissertation um die Frage, wann diese verzerrte Wahrnehmung zu physischer Aggression führt.
Grundsätzlich richtet Wolf ihren Fokus auf die Rechtspsychologie, auch in der eigenen Karriereplanung. Für ihr Ziel, rechtspsychologische Gutachterin zu werden, hat sie sich schon während des Studiums im Nebenfach mit juristischen Themen befasst. Jetzt plant sie eine mindestens dreijährige berufsbegleitende Therapeutenausbildung, um bestmöglich für die Sachverständigentätigkeit qualifiziert zu sein. Und sie engagiert sich nicht zuletzt bei der Etablierung eines Psychotherapie-Studiengangs an der Uni.
Yin und Yang
In ihrer Forschung hat sich die Hallenserin auch mit der Aussagepsychologie befasst, mit der Glaubhaftigkeit dessen, was Menschen vor Gericht von sich geben. „Wir sind grottenschlecht darin, Lügen zu erkennen“, sagt sie. Das werfe etwa die Frage auf, ob es Menschen gibt, die aufgrund eigener Persönlichkeitsmerkmale besser darin sind, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. In diesem Forschungsbereich hat Wolf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie, sogar Verknüpfungspunkte zum Themengebiet von Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. René Proyer gefunden, zu dem die Positive Psychologie und Verspieltheit gehören. Das scheint auf den ersten Blick nicht zu ihren eher negativen Forschungsthemen zu passen – scherzhaft spricht Wolf vom „Yin und Yang der Abteilung“. Was sie herausgefunden hat: Verspielte Menschen sind durchaus dazu geneigt, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen und halten sich auch für überzeugende Lügner. Vor Gericht hieße das, „dass man nicht nur auf die Aussage schaut“, sagt Wolf – sondern auch auf die Persönlichkeit.
Dass sie all das und mehr aus ihrem Fach locker und lebensnah auch Laien vermitteln kann, ist es, was Wolf über die vergangenen Jahre zur gefragten Ansprechpartnerin für die Medien gemacht hat. Mittlerweile hat sie dafür eigene Routinen entwickelt. Dazu gehört die Abfrage der Zielgruppe, für die ein Beitrag produziert wird, ebenso wie das genaue Besprechen des Themas im Vorfeld. Und bei Phänomenen, zu denen sie nicht selbst forscht, die fundierte Vorbereitung mit Hilfe vorliegender Studien. „Das ist manchmal anstrengend, macht aber Spaß“, sagt sie. Unter dem Aufwand habe die Wissenschaft nie gelitten – höchstens ihre Freizeit. Dafür gab es einen privaten „Bonus“: Mit MDR-Moderator Raimund Fichtenberger verbindet sie inzwischen eine Lebenspartnerschaft. Die Produktion des Corona-Podcasts konnte so zuletzt sogar auf die Wochenenden in die eigene Wohnung verlegt werden.
Dr. Annegret Wolf
Institut für Psychologie
Tel. +49 345 55-24323
Mail: annegret.wolf@psych.uni-halle.de