Vom Steintor an den Domplatz: Weltweit einmalige Schafsammlung zieht um

16.12.2024 von Wenke Dargel in Wissenschaft, Varia
Die MLU ist im Besitz von knapp 3.000 Schafskeletten – die weltweit größte Sammlung dieser Art. Vor Kurzem sind diese aus dem Depot vom Museum für Haustierkunde am Steintor-Campus in das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen am Domplatz umgezogen. Über die Hintergründe und die Bedeutung der Sammlung für die Forschung spricht Dr. Renate Schafberg, Kustodin der Haustierkundlichen Sammlung.
Renate Schafberg hat den Umzug der Schafskelette begleitet.
Renate Schafberg hat den Umzug der Schafskelette begleitet. (Foto: Maximilian Kümmerling)

Warum hat die MLU überhaupt eine Sammlung von Schafskeletten?
Renate Schafberg: Die MLU ist einer der traditionsreichsten Standorte der Agrarwissenschaften weltweit. An der Universität Halle wurde 1862 der erste Lehrstuhl für Agrarwissenschaften in Deutschland geschaffen, dessen Inhaber Julius Kühn auch zur Tierzucht forschte. Das Gebiet des heutigen Steintor-Campus diente als erster Standort für die Agrarwissenschaften. Bis 1968 wurden hier Tiere in einem speziell eingerichteten Haustiergarten für Forschung und Lehre gehalten. Am Ende ihres Lebens gingen ihre Skelette, Organe oder Felle in die Sammlung ein. So ist die einzigartige Haustiersammlung entstanden, die bis heute zugänglich ist und hauptsächlich der Forschung dient.

Warum hat man damals zu Schafen geforscht?
Das Schaf galt damals wie die Ziege als die Kuh des kleinen Mannes und war deutlich weiterverbreitet als heute. Schafe waren wichtig, um die Bevölkerung mit Milch, Fleisch, Wolle oder Pelzen zu versorgen. Zu Beginn der Forschung in Halle hat man sich unter anderem gefragt, wo das Hausschaf ursprünglich domestiziert worden ist. Heute weiß man: in Anatolien. Bald darauf forschte man zu tierischen Produkten wie feinster Wolle von Merino-Schafen. Man fand heraus: je südlicher die Herkunft der Rasse, desto feiner die Wolle. Danach stellte man sich Fragen zu Import und Export, Pelzschafen wie dem Karakul- oder Milch- und Fleischschafen.

Muss man wirklich alle Skelette aufbewahren, hätte die Hälfte nicht gereicht?
Ganz klar: Nein! In unserer Sammlung sind ganze Generationen von Tieren vertreten, unterschiedlichste, zum Teil ausgestorbene alte Rassen aus aller Welt. Zu fast allen Tieren sind Daten notiert worden, wie Geschlecht, Alter und besondere Lebensdaten. Von vielen Schafen besitzen wir zudem auch Fotos. Außerdem lebten alle Tiere in einer einheitlichen Umwelt, dem Haustiergarten der MLU. Auch der Zeitraum, in dem die Tiere gehalten wurden, ist ein ganz besonderer, weil die Schafe schon domestiziert, aber noch nicht durch die moderne Tierzucht beeinflusst waren. Dies alles macht unsere Sammlung zu einer einmaligen Ressource, einem Schatz für die Forschung. Die Kühn-Sammlung ist nicht nur die größte Sammlung von Schafskeletten in Europa, sondern weltweit. Wir sind im Besitz von knapp 3.000 Skeletten - so etwas gibt es kein zweites Mal.

Warum mussten die Skelette umziehen?
Die Schafskelette ziehen das zweite Mal um, verlassen aber zum ersten Mal den Steintor-Campus. Ursprünglich lagerten sie auf dem Dachboden des Haupthauses, doch für den Campus-Neubau wurden sie in das Zwischenlager neben dem Haustiermuseum gebracht. Im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen herrschen nun wieder optimale konservatorische Bedingungen, um die Skelette langfristig zu erhalten: Die richtige Luftfeuchtigkeit und Temperatur sind dort konstant gegeben. Zudem sind sie dort für Forscherinnen und Forscher leichter zugänglich.

Woran wird heute noch mit der Sammlung geforscht?
Jährlich kommen etwa dreißig internationale Forscherinnen und Forscher zu uns, die hauptsächlich zur Domestikation der Schafe und zur Archäozoologie forschen. Sie vermessen und scannen Knochen in 3D und betreiben Grundlagenforschung. Eine Frage ist zum Beispiel, warum manche Schafe Hörner haben und andere nicht. Aber wir haben auch eigene Projekte, wie die Geschichte des Karakuls. Dieses Pelzschaf wurde aus Usbekistan nach Halle geholt, hier erfolgreich gezüchtet und in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, exportiert. Doch neben der Aufarbeitung des kolonialen Erbes knüpfen wir an das Material auch genetische Fragen, zum Beispiel: Wie schnell haben sich diese Schafe durch die Zucht verändert? Mithilfe der Sammlung lassen sich also immer neue Fragen stellen und beantworten, um mehr über die Geschichte des Menschen und seiner Nutztiere zu erfahren.

Wer mehr zur Geschichte des Karakulschafes erfahren möchte und dazu, wie dieses mit dem deutschen Kolonialismus verbunden ist, kann sich hierzu einen Vortrag auf dem YouTube-Kanal der MLU anschauen: Ringvorlesung zum Projekt „Eine Uni – ein Buch“ mit Dr. Renate Schafberg

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