Steckbrief für die Zellpolizei
So harmlos der deutsche Name des Cucumber mosaic virus klingt – das „Gurkenmosaikvirus“ ist ein besonders tückischer Krankheitserreger. Es lässt Blätter welken, Früchte verkrüppeln und führt jährlich zu Ernteschäden in Milliardenhöhe. Befallen werden rund 1.200 Pflanzenarten – nicht nur Kürbispflanzen und Gurken, wie der Name vermuten lässt, sondern auch Kräuter oder Getreide. „Überträger sind vor allem Insekten, etwa Blattläuse, die deshalb rigoros bekämpft werden“, sagt Prof. Dr. Sven-Erik Behrens vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der MLU. „Beim Einsatz von chemischen Pestiziden ist man nicht zimperlich und nimmt dabei auch die Vernichtung von Insekten in Kauf, die den Pflanzen nicht schaden oder sogar nutzen.“ Etwa vier Millionen Tonnen Insektizide, Fungizide und Herbizide werden laut "Pestizidatlas" jedes Jahr weltweit in der Landwirtschaft eingesetzt – zu den beschriebenen Kollateralschäden für die Umwelt kommt die Gefahr, dass Menschen Rückstände davon mit der Nahrung aufnehmen.
Molekulare Abwehr
Mit seiner Forschung hat Behrens sich ebenfalls dem Kampf gegen Pflanzenschädlinge verschrieben. Allerdings will er Viren nicht mit der chemischen Keule angreifen, sondern ihren Reproduktionsprozess auf zellulärer Ebene unterbinden. „Dafür schalten wir uns in das molekulare Abwehrprogramm der Pflanze ein“, erklärt er. „Auch wenn die Situation in der Pflanze kaum mit der in Tier und Mensch vergleichbar ist, kann man hier durchaus von einer Impfung sprechen.“ Vor knapp zwei Jahren hat der Biochemiker vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Auftrag erhalten, neuartige Impfwirkstoffe gegen Pflanzenviren auf der Basis von RNA-Molekülen auf einen flächendeckenden Einsatz hin zu evaluieren. Auch die Übertragung seiner Erkenntnisse auf Schadinsekten und Pilze ist Bestandteil des Projektes „RNA Protect", das vom BMBF mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert wird und Ende dieses Jahres ausläuft.
Bereits 2019 haben Behrens und sein Forschungsteam an der MLU eine Möglichkeit entwickelt, Pflanzen mit sogenannten effizienten „small interfering RNAs“ (siRNAs) zu „impfen“: Solche siRNAs produziert die befallene Pflanze zunächst selbst, indem sie virale Ribonukleinsäure-Moleküle mit Enzymscheren zerschneidet. Diese RNA-Schnipsel leiten Proteinkomplexe zu den Virus-RNAs, die dann – im optimalen Fall – in harmlose Teile zerlegt und abgebaut werden. Leider ist dieser pflanzeneigene Abwehrmechanismus nicht sehr effizient. „Bei einer Virusinfektion entstehen sehr viele unterschiedliche siRNA-Moleküle, aber nur ganz wenige haben eine Schutzwirkung“, sagt Behrens. „Wir haben eine Methode entwickelt, mit der verlässlich eben genau die siRNAs identifiziert werden können, die besonders effizient gegen Virus-RNAs wirksam sind und dann gezielt eingesetzt werden können. Mittlerweile konnten wir die Methode auch erfolgreich auf andere Pathogene übertragen.“
Vor einigen Monaten konnte das Forscherteam um Sven-Erik Behrens das Methodenspektrum nochmals erweitern, die pflanzliche Zellpolizei in Form von Enzymscheren gezielt zu den Schwachstellen der viralen RNA zu führen: Bei diesem Verfahren kommen keine siRNAs zum Einsatz, sondern künstlich hergestellte DNA-Moleküle, sogenannte Antisense-Oligonukleotide (ASO). „Die Wirkprinzipien von siRNAs und ASO sind zwar ähnlich, die aktiven Enzymkomplexe sind jedoch komplett andere“, erklärt Behrens. Entscheidend aber ist, dass beide Verfahren gleichermaßen wirksam sind: Rund 90 Prozent der „geimpften“ Pflanzen konnten im Laborversuch vor der Infektion mit einem Modellvirus geschützt werden.
Massenproduktion mit Hefen
„Die grundlegende Methode der RNA- oder DNA-basierten Impfung funktioniert zuverlässig“, erklärt Behrens. „Worauf es aktuell ankommt, ist die Übertragung des Prinzips auf den Einsatz in der landwirtschaftlichen Praxis.“ Die größte Herausforderung dabei ist, auch außerhalb des Labors die Nukleinsäuren an den Ort zu transportieren, an dem sie ihre Wirkung entfalten sollen. Die Biochemiker arbeiten deshalb mit dem MLU-Pharmazeuten Prof. Dr. Karsten Mäder zusammen. Mäder ist Experte darin, Wirkstoffe so in Trägersysteme so zu verpacken, dass sie erst im Organismus von Pflanzen, Insekten oder Pilzen freigesetzt werden. Behrens: „Die Nukleinsäure-Moleküle selbst sind labil und werden schnell abgebaut. Deshalb hüllen wir sie in Partikel aus ebenfalls natürlichem Material, ähnlich wie das auch bei den RNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus geschieht.“ So soll es möglich sein, Nukleinsäure-basierte Impfwirkstoffe beispielsweise als Spray auszubringen.
Obwohl für einen Acker nur wenige Gramm des Impfwirkstoffs notwendig sein werden, ist die kostengünstige Produktion eine große Hürde. „Spezifische RNA-Moleküle etwa werden bislang synthetisch mit Enzymen hergestellt, was ein vergleichsweise aufwändiges Verfahren ist“, sagt Behrens. „Wir wollen einen anderen Weg gehen und den Wirkstoff mikrobiell in Hefen produzieren.“ Dabei kann Behrens auf Erfahrungen zurückgreifen, die er mit seinem 2017 gegründeten MLU-Spin-off „Verovaccines“ macht: Das in Halle ansässige Unternehmen entwickelt neuartige Impfstoffe gegen Tierseuchen mit genetisch modifizierter Milchhefe. Zudem arbeiten die MLU-Biochemiker bei diesem Verfahren mit Kollegen an der TU Delft in den Niederlanden zusammen. Im Rahmen von „RNA Protect“ wurde am Institut für Biochemie und Biotechnologie ein neuer Versuchsfermenter installiert, der zeigen soll, mit welchem Aufwand eine massenhafte Produktion verbunden sein wird und worauf es dabei ankommt.
Die Erwartungen jedenfalls sind hoch, denn sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Umwelt- und Artenschutz besitzen die neuartigen Nukleinsäure-basierten Impfwirkstoffe ein riesiges Potenzial. „Weil wir die Zielstrukturen genau identifizieren und ansteuern können, ist der Prozess sehr viel spezifischer als jedes chemische Mittel und mit deutlich weniger Belastungen verbunden“, erklärt Behrens. „Außerdem sind RNA und DNA Biomoleküle, die relativ schnell in natürlichen Prozessen abgebaut werden.“ Ein weiterer Vorteil des inzwischen patentierten Verfahrens ist, dass die Impfwirkstoffe sehr schnell an neue Pathogene angepasst werden können. Um sogenannte Off-Target-Effekte – also unerwünschte Wirkungen auf verwandte Spezies – weitestgehend auszuschließen, arbeitet das Behrens-Team mit den MLU-Bioinformatikern PD Dr. Jan Grau und Prof. Dr. Ivo Große sowie dem Bundesamt für Verbraucherschutz zusammen.
Mit dem Auslaufen der Förderung von „RNA Protect“ werden die Forschungen zu diesem Thema keineswegs abgeschlossen sein. „Wir kümmern uns derzeit auf verschiedenen Wegen um eine Anschlussfinanzierung“, sagt Sven-Erik Behrens. „Dies reicht von einer weitergehenden öffentlichen Förderung der grundlegenden Forschung bis hin zu gezielter Förderung der Entwicklung von RNA-Wirkstoffen gegen ein Pathogen durch die Industrie.“ Auch die Gründung einer eigenen Firma in den kommenden zwei bis drei Jahren, die die patentierte Methode nutzt, sei eine denkbare Option.