Von Menschenverstehern und SMS-Journalisten

12.10.2011 von Tom Leonhardt in Forschung, Wissenschaft
Revolution der Kommunikation, Verarmung der Gesellschaft, Infrastruktur für den wütenden Mob. Über den sogenannten „Microbloggingdienst“ Twitter gibt es viele verschiedene Meinungen. An wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema mangelt es bisher aber noch. Maria Wagner hat an der MLU Germanistik studiert und sich in ihrer Magisterarbeit mit dem „Diskursraum Twitter“ beschäftigt.
Maria Wagner
Maria Wagner (Foto: privat)

„Ich glaube nicht, dass Twitter allein einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat“, kommentiert Maria Wagner die Ereignisse in England und der arabischen Welt. Es stecke nicht viel Revolutionspotential in den SMS-ähnlichen Textnachrichten, die man via Twitter über das Internet verschicken kann. „Twitter wird hauptsächlich dazu benutzt, sich selbst und andere zu informieren, oder sich selbst darzustellen.“ Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wären Flugblätter oder Flyer immer noch genauso gut geeignet. Es komme also nicht vordergründig auf das Medium an. Viel wichtiger sind ihrer Meinung nach die gesellschaftlichen Umstände und die Menschen, die in ihnen leben müssen. In ihrer Magisterarbeit hat die Germanistik-Studentin untersucht, welche Kommunikationsformen es bei Twitter gibt und wie häufig bestimmte Formen vorkommen.

Gleichzeitig veröffentlicht sie ihre Forschungsergebnisse in einem Blog: „Als ich die Literaturrecherche für meine Arbeit begonnen hatte, musste ich schnell merken, wie wenig deutsche Forschungsliteratur es zu dem Thema gibt.“ Nur eine Hand voll Bücher hatte sie gefunden und „davon waren die meisten Ratgeberbücher, also keine wissenschaftlichen Arbeiten.“ Deshalb wollte Maria ihre Arbeit für jeden Interessierten öffentlich zugänglich machen.

Twitter ist eine Art Kurznachrichtendienst, mit dem jeder Nutzer Texte im Umfang von 140 Zeichen über das Netz verbreiten kann. Die Anzahl an sogenannten „Tweets“, also den Textnachrichten, ist dabei nicht limitiert. In Deutschland gibt es über 480.000 aktive Twitternutzer – in einem Monat kommen da über 16 Millionen Textnachrichten zusammen. „Um dann nicht die Übersicht zu verlieren, habe ich einen Monat lang die Tweets der einflussreichsten deutschen Twitterer gesammelt.“ Ein Twitter-Nutzer gilt dann als einflussreich, wenn er viele aktive Leser hat, die auch mehrmals pro Monat neue Kurznachrichten verfassen.

Deutsche Tweets werden selten zum Gespräch

Als Maria das Verhalten der Nutzer analysierte, war sie überrascht, wer die Spitze der deutschen Twitter-Charts anführt: Es war nicht etwa ein großes Unternehmen oder eine der Internetikonen wie Sascha Lobo, sondern der Komiker Dieter Nuhr. „Ich kannte ihn vorher nicht einmal“, gibt die Studentin zu. Neben Nuhr zählen dann aber die üblichen Verdächtigen zu den Top-Twitterern in Deutschland: Medienunternehmen wie Pro7, das ZDF, SpiegelOnline, aber auch größere Firmen wie die Lufthansa. „Besonders witzig war, dass es einen sehr einflussreichen Nutzer gab, der sich selbst als Menschenversteher beschrieben hatte.“

Bei der Analyse der Kurznachrichten ist Maria aufgefallen, dass „deutsche Tweets nicht direkt dialogorientiert sind“. Die meisten Nutzer würden ihre Nachrichten verbreiten, um zu informieren, zu werben oder um ihre „Follower“, ihre Abonnenten, zu unterhalten. In ihrer Analyse ist es also relativ selten zu wirklichen „Gesprächen“ zwischen den Twitternutzern gekommen.

Bei einem Großteil der deutschen Twitternachrichten handele es sich um Werbe- und Marketingbotschaften. Mittlerweile haben aber auch Journalisten den Dienst für sich entdeckt: „Gerade für Live-Berichterstattung eignet sich Twitter prima“, bestätigt Maria: Der kurze Nachrichtenticker-Stil passe sehr gut zu den 140 Zeichen. Für längere Berichte hingegen sei Twitter nicht die Zukunft: „Man kann keine komplette Geschichte auf 140 Zeichen erzählen.“ In der Literatur dagegen sei des anders: „Bei meiner Arbeit bin ich auf einen Nutzer gestoßen, der immer wieder Kurzgeschichten in 140 Zeichen erzählt hat.“ Diese wären aber meist nach demselben Schema aufgebaut gewesen.

Dass Twitter auch für viele Bereiche an der Universität interessant sein könnte, davon ist die Studentin überzeugt: „Forscher könnten parallel zu ihrer Forschung kurze Statusmeldungen abgeben und sich so prima vernetzen.“ Dies sei in Deutschland aber derzeit nicht der Fall – die meisten Wissenschaftler würden Twitter noch mit einer relativ großen Skepsis gegenübertreten.

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Germanistik

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