„Weltveränderung durch Menschenveränderung“
Sein Großvater, der aus dem thüringischen Heldra stammte, heiratete in ein altes Lübecker Hanseatengeschlecht ein; sein Vater war Jurist und wurde ob seiner Tüchtigkeit 1666 von Ernst dem Frommen, einem der fortschrittlichsten Fürsten jener Zeit, als Hof- und Justizrat an den Gothaer Hof geholt. So wuchs das spätere Haupt des Halleschen Pietismus in Gotha auf.
Schon mit 15 Jahren bezog er die Universität Erfurt – selbstverständlich als Theologiestudent. Später wechselte er nach Kiel und nach Leipzig, wo er 1686 Mitbegründer des umstrittenen Collegium philobiblicum war und den Dresdner Oberhofprediger Philipp Jacob Spener kennenlernte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Zwei Jahre später, in Hamburg, wurde Franckes Aufmerksamkeit durch den Spener-Anhänger Johann Winckler erstmals auf die christliche Erziehung von Kindern gelenkt. Nahezu zeitgleich kam in Leipzig der Schimpf- und Spottname „Pietisten“ für die Akteure jenes Collegium philobiblicum auf. Zwar hatte Francke in Christian Thomasius einen gewichtigen Fürsprech, und der Leipziger Professor für Poesie Joachim Feller bemühte sich von Anfang an, die Bezeichnung „Pietisten“ ins Positive zu wenden; aber noch viele Jahre lang haftete ihr der Ruch eines verfemten Sektennamens an. Ja, Francke selbst tat sich schwer damit!
Nach einem Umweg über Erfurt (mit letztlich ungenutzter Option nach Coburg) kam Francke schließlich mit seinem Freund, dem Theologen Joachim Justus Breithaupt, Anfang 1692 nach Halle: als Pfarrer der St. Georgenkirche in Glauchau vor den Toren der Stadt und zugleich als Professor für griechische und orientalische Sprachen an der in Gründung befindlichen Alma Mater Halensis – wenig später die modernste deutsche Universität. Mit der alteingesessenen Stadtgeistlichkeit musste er manchen Strauß ausfechten, und auch viele seiner Glauchschen „Schäfchen“ nahmen seine Wohltaten nicht widerspruchslos hin. Doch mit Hilfe des ersten Kanzlers der halleschen Hohen Schule, Ludwig Veit von Seckendorff, erstritt er sich einen achtbaren Platz in der Stadt und an der Universität. Sein „Glauchisches Gedenck-Büchlein“ von 1693 ist der erste Beweis, die Heirat mit Anna Magdalena von Wurm im Sommer 1694 (kurz vor der offiziellen Gründung der Fridericiana) der zweite.
Das Zentrum von Franckes Wirken in der Saalestadt bildeten zweifellos die „Franckeschen Stiftungen“ und die von ihnen ausgehenden Missionen in Nordamerika, in Indien, Russland und im Baltikum. Den Beginn zu all dem darf man in der legendären Spende von vier Talern und sechzehn Groschen sehen, die Francke zu Ostern 1695 im Klingelbeutel fand. Dabei dachte er als Christ und Pädagoge zunächst nur an „die Waisenkinder und die Kinder der Ortsarmen“ seiner Vorstadtgemeinde. Doch bald führten weitere Spenden zu einem schnellen Aufschwung seiner „Glauchschen Anstalten“ mit „zahlreichen Gebäuden und vielfältigen Einrichtungen“ sowie als Kernstück „das 1698 begonnene und 1701 vollendete Waisenhaus“. Ein kurfürstliches Privileg garantierte wirtschaftlicher Prosperität und juristischer Sicherheit.
Davon zeugen bis heute Apotheke und Buchhandlung sowie die Cansteinsche Bibelanstalt. Franckes Wirken im Sinne der Waisenkinder, sein Engagement für Studenten aus aller Welt und seine emsige Missionstätigkeit waren einzigartig in jener Zeit.
Der 350. Geburtstag des streitbaren Pietisten war dem halleschen Theologen und Direktor des Kuratoriums der Franckeschen Stiftungen Helmut Obst Anlass für ein neues, auf ein breites Publikum zielendes Buch – „so handlich, dass es in den Rucksack passt“ – über Francke und sein Werk. Das will allerdings ausdrücklich nicht die noch ausstehende wissenschaftliche Francke-Biografie sein, sondern stellt seinen Lesern allgemeinverständlich den Theologen, Pädagogen, Ökonomen, Reformer und Wissenschaftsorganisator als Menschen vor.
► Helmut Obst: August Hermann Francke und sein Werk, 240 Seiten, 80 Abbildungen (Fotos, Stiche, Faksimiles), Halle 2013, 16,00 Euro, ISBN 978-3-447-06903-8