Wie sieht die Bibliothek der Zukunft aus?

26.06.2023 von Wenke Dargel in Wissenschaft
Wissenschaftliche Bibliotheken leisten einen wichtigen Beitrag zu Forschung und Lehre. Die Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) Anke Berghaus-Sprengel erklärt, was es braucht, dieser Rolle auch künftig gerecht zu werden.
Bibliotheken – hier die erziehungswissenschaftliche am Franckeplatz – sollen heute auch ein Platz für Lerngruppen sein.
Bibliotheken – hier die erziehungswissenschaftliche am Franckeplatz – sollen heute auch ein Platz für Lerngruppen sein. (Foto: Markus Scholz)

Auch in Zukunft wird es Bibliotheken noch als Orte geben und brauchen. Die Grundaufgabe, Wissen zugänglich zu machen, wird sich nicht ändern. Was sich ändern muss, ist die Art und Weise, wie das geschieht. Ich denke, wissenschaftliche Bibliotheken sollten aktiver die Forschung unterstützen. Das produzierte Wissen liegt heutzutage in Form von Daten vor und muss zugänglich sein, also gefunden werden, und es muss langfristig mit guten Metadaten versehen aufbewahrt werden. Wissen sollte im Sinne von „Open Science“ für alle und auch auf allen Ebenen zugänglich gemacht werden. Das bedeutet nicht nur den freien Zugang zu Fachveröffentlichungen – also Open Access. Auch die Versuchsdaten, die Forschende während ihrer Experimente gewinnen und auf denen ihre Ergebnisse aufbauen, sollten frei verfügbar und nachvollziehbar sein. Dies gehört heute schon zur guten wissenschaftlichen Praxis. Außerdem könnte dies beispielsweise eine Nachnutzung von Daten aus teuren Versuchsanlagen ermöglichen und unnötige Versuchswiederholungen verhindern.

Wissenschaftlichen Bibliotheken kommt im Bereich des Forschungsdatenmanagements eine besondere Aufgabe zu: Sie können über zentrale Repositorien den freien Zugang zu diesen Daten verwalten und sicherstellen – für Forschende der eigenen Einrichtung und weltweit.

Um noch einmal auf Open Access und die Rolle der Bibliotheken zurückzukommen: Wir erleben aktuell einen grundlegenden Wandel beim wissenschaftlichen Publizieren und beim Bezug von Zeitschriften. Die extremen Preissprünge bei wissenschaftlichen Zeitschriften beschäftigen Universitäten schon sehr lange. Um weiterhin die notwendigen Journale für die Forschenden bereitstellen zu können, wurden in den DEAL-Verhandlungen Vertragsmodelle entwickelt, die eine Zugänglichkeit im Open Access ermöglichen sollen, ohne dass insgesamt mehr Geld in das System fließt. Die Bezahlung erfolgt bereits im Publikationsprozess, der erscheinende Artikel ist dann frei zugänglich. Damit ändert sich der gesamte Bearbeitungs- und Finanzierungsprozess. Bei einem Abonnement kann man sagen, das verlängert man nicht. Einem Wissenschaftler zu sagen, er darf nicht publizieren, weil der Literaturetat schon ausgegeben worden ist, verbietet sich. Die Verträge sind auf nationaler Ebene ausgehandelt, die einzelne Bibliothek hat keine Möglichkeit der Verhandlung. Zugleich schreitet die Konzentration der großen Anbieter voran und immer größere Mengen an Zeitschriften werden über einen Vertrag bezogen. Das wirkt sich nicht in jedem Fall positiv auf die Verträge aus. Wenn von 3.000 Zeitschriften eines Anbieters 200 Titel unbedingt notwendig sind für die MLU, dann bleibt nur die Möglichkeit, das Gesamtpaket zu lizenzieren.

 Anstatt Abonnements zu managen, betreuen und bezahlen Bibliotheken künftig Publikationen. Das bedeutet einen viel intensiveren Kontakt mit den Forschenden – und zwar bereits vor der Einreichung bei einem Journal. Außerdem muss die Einreichung überwacht werden und es muss geprüft werden, wie viel pro Aufsatz bezahlt wird. Das setzt viel Augenmaß und Flexibilität voraus. Gleichzeitig entstehen weltweit neue Open-Access-Journale, die von Bibliotheken betreut werden. Es muss das Ziel sein, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine möglichst große Breite an anerkannten Möglichkeiten zum Publizieren haben. Es darf nicht nur den einen Weg über die großen Verlage geben.

Nicht zuletzt bedeutet das auch, dass wir neue Wege finden müssen, um die Qualität wissenschaftlicher Publikationen zu bewerten. Bisher wurde gemessen, wie oft etwas zitiert wurde und daraus wurde ein Zitationsindex erstellt. Nach diesem richteten sich dann auch die Preise der Zeitschriften. Hier bedarf es alternativer Metriken, die dann auch bei der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen berücksichtigt werden. Nur so können wir mittelfristig sicherstellen, dass die Zugänge zu wissenschaftlichen Publikationen finanzierbar bleiben.

Ein weiteres Thema ist der Zugriff auf historische Quellen: Wenn wir ein Buch digitalisieren und im Internet zur Verfügung stellen, dann muss man im Buch navigieren können und es muss der Volltext hinterlegt und durchsuchbar sein. Dafür muss frei zugängliche Software bereitgestellt werden, um die aufbereiteten Bücher für alle ohne Schranken zugänglich zu machen. Diese Arbeit ist aus Bordmitteln der meisten Bibliotheken nicht zu bewältigen, gleichzeitig rennt die Zeit: An der ULB besitzen wir Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert, die nur noch bei uns zu finden sind. Diese drohen in den nächsten Jahren zu verfallen, es bedarf also schneller Lösungen.

Die Bibliothek der Zukunft muss sich natürlich auch den veränderten Bedürfnissen ihrer Nutzerinnen und Nutzer anpassen. Studierende möchten und müssen flexibel sein, weil viele von ihnen neben dem Studium arbeiten oder Kinder haben. Deshalb muss die Bibliothek einen digitalen Zugriff auf möglichst all ihre Bestände – von wo auch immer – ermöglichen. Ein weiteres Thema sind flexible Öffnungszeiten. Wir haben beispielsweise die Bibliothek am Mühlweg so umgestaltet, dass Uniangehörige mit ihrer Nutzerkarte Zutritt zum Lesesaal haben, auch wenn kein Personal anwesend ist. Es reicht in Zukunft auch nicht aus, Schreibtische in einer Reihe aufzustellen. Der Grund, an eine Universität zu kommen, ist der Austausch. Es braucht Räume, in denen sich Studierende in Lerngruppen austauschen und wirklich diskutieren können, ohne dass jemand den Zeigefinger hebt, sobald es etwas lauter ist. In der Steintorbibliothek wagen wir gerade ein Experiment: Wir entfernen einige Regale und ersetzen diese durch Möbel, die sich flexibel zu Gruppenbereichen zusammenschieben lassen.

 

Der Text stammt aus der Print-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "scientia halensis" und steht in der Rubrik „Kontext“. Darin setzen sich Wissenschaftler der Martin- Luther-Universität mit einem aktuellen Thema aus ihrem Fach auseinander, erklären die Hintergründe und ordnen es in einen größeren Zusammenhang ein.

Anke Berghaus-Sprengel
Anke Berghaus-Sprengel (Foto: Markus Scholz)

Anke Berghaus-Sprengel ist seit 2016 Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Zugleich ist sie seit August 2021 Vorsitzende des im Jahr 1900 gegründeten Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Berghaus-Sprengel hat nach einer Gesellenausbildung zur Buchbinderin ein Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Hannover sowie ihr Referendariat an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin absolviert.

 

Kontakt:

Anke Berghaus-Sprengel
Universitäts- und Landesbibliothek
Tel. +49 345 55-22000
Mail anke.berghaus-sprengel@bibliothek.uni-halle.de

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