Zu Risiken und Nebenwirkungen
Eigentlich müssten wir es alle wissen: Nach Krankheiten oder Symptomen sollte man nicht im Web suchen, sondern lieber zur Ärztin oder zum Arzt gehen. Denn nur weil sich eine Information unter den Top-Suchergebnissen bei Google und Co. findet, heißt das noch lange nicht, dass sie korrekt und für den konkreten Fall zutreffend ist. Und trotzdem recherchieren einer US-Studie aus dem Jahr 2019 zufolge mehr als 70 Prozent aller Menschen mit Internetzugang zunächst selbst nach Symptomen, Krankheiten und möglichen Behandlungsoptionen. Etwa die Hälfte davon holt sogar nicht noch einmal ärztlichen Rat ein. „Die Corona-Pandemie hat uns die großen Gefahren von Falschinformationen im Web vor Augen geführt. Gerade weil Suchmaschinen Informationen leicht zugänglich machen, kommt ihnen eine große Verantwortung zu“, sagt Alexander Bondarenko, der in der Arbeitsgruppe „Big Data Analytics“ von Prof. Dr. Matthias Hagen an der Uni Halle forscht.
In einer Kooperation mit Forschenden aus Russland* hat die Arbeitsgruppe die Qualität der Suchergebnisse bei Gesundheitsthemen näher untersucht: Speziell widmete sich das Projekt den sogenannten Antwort-Snippets, den kurzen Texten, die eine Suchmaschine für alle Treffer als Vorschau anzeigt. Dabei wurde ihr Wahrheitsgehalt geprüft und ob Warnhinweise zu möglichen Gesundheitsrisiken vorhanden waren. Hierfür nutzte das Team ein Archiv von rund 1,5 Milliarden Suchanfragen der Suchmaschine Yandex, die in Russland sehr weit verbreitet ist. „Der Datensatz ist ein paar Jahre alt, weshalb sich darin keine Suchanfragen zu COVID-19 finden. Aber er ist eine sehr besondere Quelle, weil er echte Fragen von echten Nutzern beinhaltet“, sagt Bondarenko. Möglich wurde das durch die Unterstützung von Dr. Pavel Braslavski, Senior Researcher und Dozent von der Uralischen Föderalen Universität, der zuvor bei Yandex arbeitete.
Bestätigte Vorurteile
Mit Hilfe der Online-Wissensdatenbank Wikidata und der „internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD) der Weltgesundheitsorganisation filterten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jene Anfragen heraus, in denen Symptome, Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten vorkommen. Sie identifizierten ungefähr 4.400 Krankheiten und Symptome sowie 1.000 medizinisch genutzte Pflanzen und andere Hausmittel. „Am häufigsten ging es um eher private, alltägliche Themen wie Schwangerschaft oder Intimkrankheiten. Insgesamt wurde auch häufiger nach der Behandlung von Akne oder Cellulite als nach Krebs gesucht“, sagt Bondarenko.
Die Forscher konzentrierten sich auf zwei Kategorien von Fragen: Entweder ging es darum, ob ein bestimmtes Mittel gegen eine Krankheit wirkt. Oder es wurde gleich nach einer Anleitung gesucht, wie ein Mittel anzuwenden ist. „Im zweiten Fall gehen die Nutzerinnen und Nutzer also bereits davon aus, dass ein bestimmtes Mittel gegen eine Krankheit hilft, obwohl das längst nicht immer erwiesen ist“, sagt Pavel Braslavski.
Bondarenko überprüfte, welche Antworten Yandex und zusätzlich Google auf die 30 häufigsten Fragen anzeigten. Analysiert wurden dafür jeweils die ersten zehn Antwort-Snippets. Ob die Angaben darin korrekt waren, bewertete das Team auf Grundlage einer Recherche zu allen untersuchten Krankheiten und Mitteln in den Datenbanken für medizinische Studien „Cochrane“, „PubMed“ und „BioMed Explorer“. Diese Bewertung wurde von einer Ärztin durchgeführt.
Warnhinweise zu Risiken nötig
Besonders bei schwerwiegenden Erkrankungen zeigte sich die Schwäche der Suchmaschinen: Auf die Frage zum Beispiel, ob Schöllkraut bei der Behandlung von Krebs hilft, gab Yandex in sieben von zehn Fällen in den Vorschautexten fälschlicherweise eine positive Antwort. Die Gegenrecherche des Teams zeigte nämlich, dass es zwar erste Untersuchungen in Zellkulturen gab, diese aber für eine wirkliche Behandlung noch keine Relevanz haben. Zudem ist der Saft der Pflanze giftig. Warnhinweise dazu wurden überhaupt nicht angezeigt.
Bei anderen Hausmitteln schnitten die Suchmaschinen ein wenig besser ab: Ja, grüner Tee kann den Blutdruck senken und ja, Ingwer hat eine hustenstillende Wirkung. Allerdings fehlten in der Regel bei beiden Mitteln dennoch wichtige Hinweise: Grüner Tee kann in großen Mengen Vergiftungserscheinungen auslösen und Ingwer in Kombination mit Blutverdünnungsmitteln schwere Nebenwirkungen.
Insgesamt zeigte Yandex in 44 Prozent der Fälle fälschlicherweise an, dass ein Mittel gegen eine bestimmte Krankheit wirkt, obwohl dafür keine wissenschaftliche Grundlage existiert. Bei Google war es knapp ein Drittel der Fälle. Hinweise auf potenzielle Gesundheitsrisiken fand das Team nur in 13 beziehungsweise zehn Prozent der Fälle. „Die Angaben aus den Snippets tendieren dazu, bereits vorhandene Meinungen zu bestätigen und liefern viel zu selten Warnungen zu möglichen Risiken“, so Bondarenko. Das sei besonders problematisch, weil frühere Studien gezeigt haben, dass Menschen dazu tendieren, an die Wirkung sogenannter alternativmedizinischer Mittel zu glauben, auch wenn es dafür keine wissenschaftliche Grundlage gibt.
Einige Suchmaschinen und Medienunternehmen haben auf dieses Problem bereits reagiert: Der Kurznachrichtendienst Twitter geht zum Beispiel seit Ende 2020 aktiv gegen Falschmeldungen auf seiner Plattform vor und versieht Beiträge mit strittigen oder unvollständigen Informationen mit Warnhinweisen. Die Forschenden plädieren dafür, dass auch Suchmaschinenergebnisse zu medizinischen Fragen mit deutlicheren Warnhinweisen auf mögliche gesundheitliche Risiken ausgestattet werden müssten. Bondarenko: „Egal bei welcher Krankheit: Suchanfragen sollten auf keinen Fall den Gang zu Arzt oder Apotheker ersetzen.“
*Anmerkung der Redaktion: Die Forschungsarbeit ist vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine entstanden. Mit Beginn des Krieges hat die MLU sämtliche Kooperationen mit Russland ausgesetzt. Wir haben uns aufgrund der Relevanz des Themas dafür entschieden, den Text dennoch zu veröffentlichen.
Alexander Bondarenko
Institut für Informatik
Tel. +49 345 55-24779
E-Mail: alexander.bondarenko@informatik.uni-halle.de