Mit der Kraft der Muscheln

05.07.2024 von Katrin Löwe in Wissenschaft, Wissenstransfer, Forschung
Dr. Constanze Zwies erhält heute Abend für ihre Dissertation einen der drei Transferpreise, die von der Universität gemeinsam mit der Stadt Halle und der Stadtwerke Halle GmbH vergeben werden. Die Wissenschaftlerin hat untersucht, ob sich ein synthetischer Klebstoff durch eine gesündere und nachhaltige Variante auf Basis von Proteinen ersetzen lässt. Die Inspiration lieferten marine Lebewesen.
Constanze Zwies vor einem Bioreaktor, der bei der Herstellung des Bio-Klebers zum Einsatz kam.
Constanze Zwies vor einem Bioreaktor, der bei der Herstellung des Bio-Klebers zum Einsatz kam. (Foto: Markus Scholz)

Muscheln kleben einfach gut. Ob es heiß ist oder kalt, ob die Wellen tosen, der Untergrund aus Stein, Holz, Metall oder Sand besteht: Muscheln kleben. Dass sie das tun, hat Dr. Constanze Zwies den Ansatz für ihre Dissertation geliefert. Deren Ziel war, vereinfacht gesagt, einen Bio-Kleber für Sand zu finden, der zum Beispiel in der Automobilindustrie eingesetzt werden kann. Das mag für einen Moment verwirrend klingen, ist aber relativ leicht erklärt. Bei der Herstellung von Karosserieteilen wird geschmolzenes Metall in Sandformen gegossen. Für diese Formen wiederum wird synthetischer Klebstoff genutzt. Das hat zwei Nachteile, wie Constanze Zwies sagt: „Zum einen ist in dem erdölbasierten Klebstoff Formaldehyd enthalten, das als krebserregend gilt.“ Zum anderen kann der Sand nicht wiederverwendet werden, nachhaltig ist das Ganze also nicht. Hier kommt die Forschung der MLU-Wissenschaftlerin ins Spiel. „Wäre es nicht toll, wenn man einen Kleber hätte, der gut klebt, nicht gesundheitsschädlich und biologisch abbaubar ist und es sogar erlauben würde, dass der Sand recycelt werden kann?“

Die Frage ist rhetorisch, denn mittlerweile weiß die 33-Jährige, dass es grundsätzlich funktioniert. In der Arbeitsgruppe des Biotechnologen Prof. Dr. Markus Pietzsch hat sie sich mit der Entwicklung und Herstellung eines künstlichen, eines so genannten Designer-Proteins befasst, das unter anderem Sequenzen eines Muschelfußproteins nutzt. Produziert wird es mit Hilfe von gentechnisch veränderten E. coli-Bakterien. Der Test am Ende ihrer Arbeit hat gezeigt: Die Klebkraft des neuen Proteins kann zumindest im Labor mit der eines konventionellen synthetischen Bindemittels mithalten. Eine Revolution für die Industrie? Noch ist es nicht ganz so weit: „Die erdölbasierten Klebstoffe sind preislich gesehen bisher unschlagbar“, sagt Zwies. In einem Folgeprojekt arbeitet sie als Nachwuchsgruppenleiterin deshalb jetzt unter anderem daran, wie das Designer-Protein preiswerter und im industriellen Maßstab hergestellt werden kann. Im Idealfall bedeutet diese Forschung den Transfer in die Anwendung, zum Beispiel die Gründung eines Start-ups. Die aktuelle Arbeit läuft im Rahmen des „European Center of Just Transition Research and Impact Driven Transfer“ (JTC), das seit April dieses Jahres an der MLU besteht. Ziel des JTC ist es, forschungsbasierte Lösungen für den Strukturwandel in Sachsen-Anhalt zu entwickeln, etwa im Bereich der Kreislaufwirtschaft oder sozialer Innovationen. 17 Innovationsteams sind in diesem Rahmen eingerichtet worden, eines davon unter dem Titel „Designer-Proteine“ leitet Constanze Zwies.

Dass sie in die Forschung und nicht ins Büro gehen möchte, war der in Genthin aufgewachsenen Sachsen-Anhalterin schon früh klar. Sie hat Biochemie im Bachelor und Master an der MLU studiert, schnell ihre Faszination für Proteine und die Proteinbiotechnologie entdeckt. In ihrer Masterarbeit hat sie sich mit einem Enzymkomplex befasst, mit dessen Hilfe Methangas, also ein Treibhausgas, bei Raumtemperatur in Methanol umgewandelt werden kann. Die Substanz wird in großen Mengen in der chemischen Industrie benötigt. Die herkömmliche Methanolherstellung ist sehr energieintensiv, weil dafür sehr hohe Temperaturen und ein hoher Druck gebraucht werden. „Auch das Thema fand ich unter dem Nachhaltigkeitsaspekt interessant“, sagt Zwies.

Ihr Wissen bringt sie inzwischen längst nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre ein, bisher in Übungen und Praktika, ab dem kommenden Wintersemester auch in Vorlesungen. Sie liebe den Aha-Moment, wenn die Studierenden etwas verstanden haben, sagt sie. „Das gibt einem unglaublich viel zurück, wenn man die Freude an der Wissenschaft entfachen kann.“ Eine der Herausforderungen für die junge Wissenschaftlerin: So gut man die Balance zwischen Forschung und Lehre auch meistert, am Ende hat der Tag nur 24 Stunden. „Und das erfordert ein gutes Zeitmanagement“, das sie als Mutter eines inzwischen dreijährigen Mädchens aber ohnehin benötigt. „Man muss sich gut organisieren“, sagt sie. Ihr Partner sei Doktorand an der MLU – aber nicht in den Naturwissenschaften, so dass ungeplant länger laufende Laborversuche bei ihm wegfallen. Hilfreich sei auch das zusätzliche Betreuungsangebot der Weinberg-Kids, sagt Zwies. Eine Babysitterin springt ein, wenn es nötig ist – heute Abend zur Verleihung des Transferpreises im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft zum Beispiel. Wissenschafts-Laufbahn und Familie, das habe bisher jedenfalls funktioniert.

Wohin ihre Karriere sie noch führen wird, in eine Professur, in die Industrie, das lässt die Biochemikerin auf sich zukommen. Zum JTC-Programm gehören auch Business-Workshops. Ein Bereich, in dem sie sich bisher noch nicht gesehen hat. Aber wer weiß? Sie selbst jedenfalls sagt auch: „Ich bin Forscherin, aber ich bin für alles offen.“

Preis in drei Kategorien

Der von der Universität Halle gemeinsam mit der Stadt Halle und der Stadtwerke Halle GmbH verliehene Transferpreis würdigt herausragende anwendungsbezogene Abschlussarbeiten und Dissertationen sowie erfolgreiche Kooperationsvorhaben zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie außerakademischen Partnern.

Dr. Constanze Zwies erhält den Preis in der Kategorie „Anwendungsorientierte Dissertation“ für ihre Arbeit mit dem Titel „Design, rekombinante Produktion und Anwendung von Muschelfußprotein und Elastin-ähnlichen Fusionsproteinen“. Er ist mit 1.000 Euro dotiert und wird von der Stadtwerke Halle GmbH gestiftet.

Der mit 1.000 Euro dotierte Transferpreis in der Kategorie „Erfolgreiche regionale Transferkooperation“ wird von der Stadt Halle gestiftet. Er geht in diesem Jahr an die Initiative „Kinderleicht sprechen“, die von der Sprechwissenschaftlerin Dr. Stephanie Kurtenbach von der MLU gemeinsam mit Fachberaterin Franziska Kreutzer vom Eigenbetrieb Kindertagesstätten der Stadt Halle geleitet wird. Seit Beginn der Kooperation im Jahr 2010 wurden bereits fünf Projekte umgesetzt. Das sechste fokussiert auf die Chancen und Herausforderungen gelebter Mehrsprachigkeit im Kita-Alltag und läuft zur Zeit. Ziel ist es, eine feinfühlige Alltags-Kommunikation zwischen pädagogischen Fachkräften und Kita-Kindern zu unterstützen. Aus den Projekten und deren Begleitforschungen resultieren zum Beispiel Handreichungen zur frühkindlichen Sprachförderung, jährliche Qualifizierungs-Angebote für Studierende und Erzieherinnen und Erzieher sowie Praxistage zur Erprobung von Schulungsthemen.

Der dritte, mit 500 Euro dotierte Preis geht in der Kategorie „Anwendungsorientierte Masterarbeit“ an Michèle Anne Reuter. Für ihre im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich eingereichte Arbeit mit dem Titel „Führungskompetenzen im Bereich des Nachhaltigkeitsmanagement - Eine qualitativ-empirische Analyse von Industrieunternehmen“ hat die Autorin Führungskräfte aus 20 besonders energieintensiven Unternehmen interviewt. Dazu zählen insbesondere Unternehmen aus den Sektoren Automobil-, Chemie-, Rohstoff- und Maschinenbauindustrie. Zentral war die Frage, welche Kompetenzen im Nachhaltigkeitsmanagement relevant sind und ob beziehungsweise wie sie Anwendung finden. Die Ergebnisse hat Reuter bereits als Buch veröffentlicht. Gestiftet wird der Preis von der Stadtwerke Halle GmbH.

 

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