Eine Masterarbeit, die nicht im Schrank verschwindet
Radfahren in Valparaíso ist nicht gerade ungefährlich. Radwege gibt es in der sehr hügeligen, eng bebauten 300.000-Einwohner-Stadt an der chilenischen Pazifikküste nur vereinzelt, weshalb die vielbefahrenen Straßen auch mit dem Fahrrad genutzt werden. Unter anderem mit diesem Problem hat sich Julian Sauer für seine Masterarbeit an der MLU beschäftigt – und eine Lösung vorgeschlagen: einfache Fahrbahnmarkierungen. „Alleine dadurch“, so Sauer, „lassen sich Verkehrsunfälle drastisch minimieren und das Fahrrad könnte sich zu einem attraktiveren Verkehrsmittel entwickeln.“
Ein Semester lang hat Julian Sauer in der südamerikanischen Kommune zu nachhaltigen Infrastrukturen geforscht – ein einfaches Auslandssemester wäre ihm nicht genug gewesen, sagt der 28-Jährige, der Ende 2020 seine Masterarbeit im Studiengang International Area Studies bei Prof. Dr. Christine Fürst eingereicht hat. „Wenn ich schon ein halbes Jahr daran arbeite, dann will ich damit auch etwas bewirken.“ Mithilfe eines Methodenmix aus Befragung und Experteninterviews hat Sauer vor Ort die Bedarfe an Infrastruktur ermittelt und moderne Lösungen gesucht, die aufgrund des geringen Budgets für eine Transformation günstig ausfallen mussten.
Die Universität in Valparaíso hatte laut Sauer bisher wenig zu nachhaltigen Infrastrukturen geforscht, er sei deshalb auf Experten aus der Praxis aufmerksam gemacht worden. Einer davon war Rolando Alvarez, Gründer der Nichtregierungsorganisation (NGO) „The Amazing Bike“, die sich mit dem Ausbau der Radfahrkultur in Chile beschäftigt. Genau dieser Mann hat ihn später auch gefragt, ob er seine Ergebnisse in einem Webinar vorstellen möchte, damit die Lösungsvorschläge umgesetzt werden können. Online mit dabei: der Präsident der örtlichen Architektenkammer. Der Expertenkreis für nachhaltige Mobilität bot dem halleschen Absolventen schließlich an, weiterhin in der Runde mitzuarbeiten. Die Ergebnisse seiner Forschungen sollen unter anderem in Veranstaltungen der Stadt präsentiert werden.
Für Julian Sauer ist die Masterarbeit zu einem Herzensthema geworden. Seine Perspektive als europäisch sozialisierter Mensch bewertet er dabei als Vorteil. Ihm sei zwar wichtig gewesen, nicht aus einer eurozentristischen Perspektive Handlungskonzepte vorzuschlagen, die für eine südamerikanische Stadt realitätsfremd sind. Allerdings habe er Mobilitätskonzepte und „Best Practices“ einbringen können, die er während eines weiteren Auslandssemesters in Kopenhagen kennengelernt hat. Der Blick von außen sei auch von den Experten im Webinar geschätzt worden. „Ich habe mich über das Angebot gefreut, auch künftig in dem Arbeitskreis mitarbeiten und damit langfristig etwas bewirken zu können“, sagt er. Seine Forschung fiel zudem in eine Zeit, in der sich in Chile viele Veränderungen anbahnen. Im Oktober 2020 haben die Chilenen in einem historischen Referendum für eine Verfassungsreform gestimmt. Die alte Verfassung stammte aus der Zeit der Militärdiktatur von Präsident Augusto Pinochet. Auch auf nachhaltige Infrastrukturen könnte sich der Umbruch auswirken, so Sauer.