Mission Nachhaltigkeit

16.02.2012 von Corinna Bertz und Claudia Misch in Im Fokus
Nachhaltigkeit ist im Trend. Geradezu inflationär wird das Wort heute gebraucht. Wir können nachhaltig konsumieren, nachhaltig lernen und Geld nachhaltig anlegen. Aber wofür steht der Begriff? Im Interview plädiert Hans-Ulrich Zabel, Professor für Betriebliches Umweltmanagement an der MLU, für eine ökosoziale Marktwirtschaft und eine streng am Nachhaltigkeitspostulat orientierte Forschung.
Campusbegrünung für mehr Nachhaltigkeit? Auch in der Lehre sollte Nachhaltigkeit eine Rolle spielen, findet Hans-Ulrich Zabel: "...sodass jeder Student, der die Uni verlässt, weiß, dass die Umstellung auf Nachhaltigkeit ein dringendes Erfordernis ist, wenn er bis ins Rentenalter auch lebenswürdig leben will."
Campusbegrünung für mehr Nachhaltigkeit? Auch in der Lehre sollte Nachhaltigkeit eine Rolle spielen, findet Hans-Ulrich Zabel: "...sodass jeder Student, der die Uni verlässt, weiß, dass die Umstellung auf Nachhaltigkeit ein dringendes Erfordernis ist, wenn er bis ins Rentenalter auch lebenswürdig leben will."

Herr Professor Zabel, können Sie sich noch daran erinnern, wann Ihnen der Begriff „Nachhaltigkeit“ das erste Mal begegnet ist?

Da muss ich wirklich nachdenken. Der Begriff ist 1986 auf die Politikagenda getreten, als der Brundtlandbericht veröffentlicht wurde. Ich würde sagen 1992, mit der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, habe ich bewusst wahrgenommen, dass Nachhaltigkeit auch für die Wirtschaftswissenschaften ein notwendiges Thema ist – und dass das Thema Umweltmanagement genau dort zu verorten und zu integrieren ist.

Prof. Dr. Hans-Ulrich Zabel
Prof. Dr. Hans-Ulrich Zabel (Foto: Maike Glöckner)

Woher kommt der Nachhaltigkeitsgedanke ursprünglich?

Er geht auf den Berghauptmann Carl von Carlowitz zurück. Seine Grundbotschaft aus dem Jahr 1713 lautet: Holze nur so viele Bäume ab, wie nachwachsen. Mit zunehmender Erzschmelze wurden damals die Bäume knapp, deshalb war die Überlegung notwendig: Wie gehen wir mit unserem Baumbestand um? Auf der Rio-Konferenz wurde Nachhaltigkeit dann auf die Agenda der Weltpolitik gesetzt. Dort haben 178 Staaten sich dazu bekannt, ihre Politik auf Nachhaltigkeit umstellen zu wollen.

Die Krisen haben sich seitdem nicht entschärft, sondern eher verschärft. Sie sind mittlerweile für die Zivilisation bedrohlich: Klima-, Ressourcen-, Wirtschafts- und Finanzkrise, Artensterben, Staatsverschuldung, Terrorismus – bis hin zur Wertekrise. Wenn wir nicht auf die Bremse treten, beginnt im Jahr 2040 vor allem in Folge des Klimawandels eine Abwärtsspirale, die kaum noch aufzuhalten ist.

Wie kann eine solche Abwärtsspirale verhindert werden?

Die Antwort heißt Nachhaltigkeit. Ihr Hauptmerkmal muss sein: die Dreieinigkeit ökologischer, sozialer und ökonomischer Zielkriterien. Neben der Geldfixierung müssen also auch soziale und ökologische Aspekte in den Blick genommen werden. Dazu bedarf es einer ökosozialen Marktwirtschaft. Der Staat müsste Rahmenbedingungen schaffen, die sozial- und ökologieschädliches Verhalten sanktionieren - durch Steuern oder Abgaben wie den Emissionshandel zum Beispiel.

Ein zweiter Fokus ist die Gerechtigkeit. Wir müssen den zukünftigen Generationen Natur zum Wirtschaften übrig lassen. Zugleich muss es auch um die Menschen gehen, die heute leben. Da gibt es nicht nur ein Nord-Süd-Gefälle, die Ungerechtigkeit nimmt auch in den Industriestaaten dramatisch zu.

Aber ist nachhaltiges Wirtschaften überhaupt mit unternehmerischem Gewinnstreben vereinbar?

Reines Gewinnstreben ohne moralische Flankierung ist mit Nicht-Nachhaltigkeit verbunden. Es ist ökonomisch rational, in einer geld-, egoismus- und wachstumsfixierten Wirtschaft die Natur maximal auszubeuten. Das geht irgendwann über die Grenzen der Belastbarkeit der Natur. Wir zerstören ihre Kreisläufe und Regulierungsmechanismen. Es macht keinen Sinn, über Ökonomien nachzudenken, wenn wir den Klimawandel und den Ressourcenzugriff nicht beherrschen.

Was bedeutet das für die Forschung?

Die Herausforderung ist, dass jede Forschung streng am Nachhaltigkeitspostulat orientiert sein müsste. Zudem sollte Forschung auf Problemlösungen zur Abwendung der großen Krisen konzentriert werden. Wenn wir dies nicht ins Auge fassen, werden wir nicht mehr wirtschaften und nicht überleben können. In zwanzig Jahren werden wir mit Sicherheit gefragt werden: Warum habt ihr damals Autobahnen gebaut, anstatt die Treibhausgase zu reduzieren?

Das heißt, das Thema ist in der Forschung noch nicht angekommen?

Es gibt Ansätze zur Förderung der Nachhaltigkeitsforschung, etwa die Förderung nachhaltigkeitsorientierter Projekte durch das BMBF. Für die Erforschung erneuerbarer Energien wurden aber bisher nicht genügend Forschungsmittel bereitgestellt. Man hätte schon vor 20 Jahren einsteigen müssen, um Speichertechnologien, Vernetzungsstrukturen und ökonomische Steuermechanismen zu erforschen und voranzutreiben. Stattdessen ist das alles eher sporadisch entstanden und wird auch immer wieder konterkariert.

Woran liegt das?

Wir haben heute eine tief ausdifferenzierte Forschungslandschaft. Bei der Nachhaltigkeitsforschung sind aber alle Wissenschaftsdisziplinen herausgefordert. Sie müssten und sollten interdisziplinär forschen - und das hat systematische Probleme. Die Ausdifferenzierung geht mit spezialisiertem methodischen Werkzeug einher, das wenig zur Bewältigung globaler Probleme geeignet ist.

Wenden wir den Blick nach Halle. Wie ist die MLU im Bereich Nachhaltigkeitsforschung aufgestellt?

An der MLU gibt es eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die Nachhaltigkeitsbeiträge liefern. Vor allem im Umweltbereich tut sich viel. Aber auch auf dem Feld der regenerativen Energien haben wir starke Forscher, beispielsweise in der Photovoltaik oder auf dem Gebiet der Energiespeicherung über Kondensatoren. Das Thema Nachhaltigkeit wird zudem in viele Studiengänge integriert: Die Universität Halle bietet neben den Studiengängen „Erneuerbare Energien“ und „Management natürlicher Ressourcen“ auch die Vertiefungssäulen „Nachhaltigkeitsmanagement“ innerhalb des BWL-Masters und „Photovoltaik“ im Physik-Master an. Darüber hinaus regen sich einige Aktivitäten im Bereich Ethik, etwa mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsethik.

Aber?

Was fehlt, sind gemeinsame Projekte und Koordinierungsinstanzen, die das Ganze unter dem Dach der Nachhaltigkeitsforschung bündeln. Eine bestehende Koordinierungsinstanz, das Universitätszentrum für Umweltwissenschaften, wurde zudem kürzlich geschlossen. Das halte ich für einen Schritt in die falsche Richtung, wenn wir uns vor Augen führen, wie dringend notwendig die Forschung ist. Wir brauchen Netzwerke, Institutionalisierung und Interdisziplinarität.

Wie können Universitäten generell zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen?

Es gibt vier Dinge, die Nachhaltigkeit an einer Universität ausmachen: Das ist zum einen die nachhaltigkeitsorientierte Gestaltung der Verwaltung, vom Gebäudemanagement über die Verwaltungsprozesse bis zur Campusbegrünung. Zum zweiten muss die Forschung nachhaltigkeitsorientiert ausgerichtet werden. Und ebenso die Lehre, sodass jeder Student, der die Uni verlässt, weiß, dass die Umstellung auf Nachhaltigkeit ein dringendes Erfordernis ist, wenn er bis ins Rentenalter auch lebenswürdig leben will. Der vierte Aspekt betrifft die Art der Entscheidungsfindung und der Führung der Universität. Da gibt es einen Nachhaltigkeitsgrundsatz, den ich meinen Studenten immer vermittele: Die Betroffenen sind zu Beteiligten zu machen.

Sie klingen einerseits verhalten optimistisch, andererseits monieren Sie das langsame Vorankommen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Richtig ist, es tut sich was. Und ich bin Optimist. Da scheint es nicht zusammenzupassen, wenn ich sage, dass es zu langsam geht. Aber die Menschheit hat ja immer wieder gezeigt, dass Minderheitenmeinungen plötzlich ein System kippen können und dass entsprechend der Chaostheorie kleine Änderungen an den Inputs große Änderungen am Output bewirken. Meine Hoffnung ist, dass auch beim Thema Nachhaltigkeit Quantitäten in der Erkenntnis zu einem Qualitätsumschwung führen.

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