Weltbiodiversitätsrat: Mitteldeutsche Forscher mischen mit
Sich für den Artenschutz zu engagieren ist für Prof. Dr. Robert Paxton von der Uni Halle selbstverständlich: „Ich liebe Tiere und Pflanzen. Mir gefällt nicht, dass sie verschwinden.“ Der Biologe erforscht seit vielen Jahren die Gründe und Folgen des Bienensterbens für den Menschen und für die Natur. Deshalb sei es für ihn eine große Ehre gewesen, als er von der deutschen Bundesregierung als Experte für den Weltbiodiversitätsrat IPBES nominiert wurde. Von 2014 bis 2016 engagierte sich Paxton neben seiner regulären wissenschaftlichen Arbeit als Leitautor in dem Gremium und steuerte seine Expertise für den Themenbereich Bestäuber, Bestäubung und Nahrungsmittelproduktion bei.
IPBES ist vergleichbar mit dem Weltklimarat IPCC. In einem internationalen Expertengremium arbeiten Forscherinnen und Forscher aktuell an einer globalen Bestandsaufnahme der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen sowie Ökosystemleistungen, zum Beispiel CO2-Speicherung oder Klimaregulierung.
Die meisten wissenschaftlichen Studien sind auf einen bestimmten Ort und einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Daraus lassen sich aber keine allgemeinen Aussagen ableiten. Das soll der erste große IPBES-Bericht, das so genannte „Global Assessment“, ändern: „Darin soll der aktuelle Stand des weltweit verfügbaren Wissens auf eine fachlich korrekte und verständliche Form kondensiert werden“, sagt Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Settele leitet am UFZ die Arbeitsgruppe Tierökologie und sozial-ökologische Systeme im Department Biozönoseforschung in Halle und ist außerdem Professor an der Uni Halle.
Mit zwei Wissenschaftlern aus Südamerika hat er den Vorsitz für dieses erste globale Assessment inne. Ihre Aufgabe ist es, das Team aus über 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt zu koordinieren. Bis 2019 soll das IPBES-Team seinen ersten großen Bericht ausarbeiten. Außerdem entwickelt IPBES auf Grundlage der Erkenntnisse auch Empfehlungen für die Politik, um künftig gegen den Verlust von Artenvielfalt vorzugehen. Aktuell sind 127 Staaten Mitglied bei IPBES. Jedes Land kann seine eigenen Experten und Vertreter benennen.
Das Who’s who der Biodiversitätsforschung
Ein Blick auf die Liste der Personen, die sich bei IPBES engagieren, verrät: Settele und Paxton sind bei weitem nicht die einzigen Forscher aus Mitteldeutschland. Universitäten wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen aus Halle, Jena und Leipzig – um nur die näheren Orte zu nennen – liefern gefragte Expertinnen und Experten aus den Natur- und Sozialwissenschaften für IPBES.
Ein wichtiger Player ist darüber hinaus das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Es wurde 2012 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft gegründet und wird seitdem von den Universitäten Halle, Jena und Leipzig sowie in Kooperation mit dem UFZ betrieben. Hier organisiert etwa der portugiesische Biologe Prof. Dr. Henrique Pereira von der Uni Halle regelmäßig Arbeitstreffen für IPBES. In den letzten Jahren hat sich die Region zu einem Hotspot der Biodiversitätsforschung entwickelt. „Ich bekomme in letzter Zeit immer mehr Anfragen für Promotionsarbeiten zu diesen Themen aus dem Ausland“, berichtet Prof. Dr. Christine Fürst von der Uni Halle. Die Professorin für Nachhaltige Landschaftsentwicklung engagiert sich ebenfalls bei IPBES – speziell in der Region Europa und Zentralasien in den Kapiteln „Integrierte Analyse der Interaktionen zwischen Natur und Mensch“ sowie „Governance- und Entscheidungsoptionen“.
Recherche, Recherche, Recherche
Die Hauptarbeit der Autoren bei IPBES ist keine klassische Forschungsarbeit im Labor oder im Feld. Stattdessen entstehen am Ende extrem umfangreiche Übersichtsartikel, die nach speziellen Regeln angefertigt werden. Die Idee ist, alle relevanten Quellen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht wurden, in die Berichte einfließen zu lassen. Dazu gehören auch Erkenntnisse und Daten, die vorher nicht in wissenschaftlichen Journalen publiziert worden sind; etwa Berichte von Ministerien, aber auch Daten von lokalen Gruppen, Behörden und Verbänden. Um diese sehr unterschiedlichen Quellen zu sichten, zu bewerten und zusammenzufassen, braucht es viele Menschen, die sehr gut im Thema stehen. Hier kommen die einzelnen Wissenschaftler ins Spiel, die den gemeinsamen Arbeitsplan entwickeln und verfeinern.
Jedes Kapitel wird intern wie extern mehrfach begutachtet, diskutiert und überarbeitet. Jeder Zwischenschritt akribisch dokumentiert. In dieser Genauigkeit liegt die Stärke der Berichte: Jeder Schritt ist exakt nachvollziehbar.
Bevor die Kapitel dann als politisch akzeptiertes Wissen gelten können, müssen sie in Plenarsitzungen von politischen Vertretern der Mitgliedsstaaten besprochen und bestätigt werden. Robert Paxton und Josef Settele haben diesen Prozess bereits hinter sich: Im Februar 2016 wurde die erste „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ zum Bestäuber-Kapitel verabschiedet. Daraus ging hervor, dass global zwischen 16 und 40 Prozent aller Bestäuber-Arten vom Aussterben bedroht sind. Dazu zählen neben Bienen auch andere Insekten, Fledermäuse und Vögel. Pro Jahr entstehen durch ihre „kostenlose“ Leistung Nahrungsmittel im Wert von 200 bis 500 Milliarden Euro. Die IPBES-Autoren liefern auch Handlungsempfehlungen, wie sich die Bedingungen für Bestäuber verbessern lassen: Landwirte könnten etwa Wildblumen zwischen Felder pflanzen und mehr natürliche Pflanzenschutzmittel einsetzen.
Inspiration für die eigene Arbeit
Für die hallesche Geowissenschaftlerin Christine Fürst ist die Arbeit bei IPBES noch nicht abgeschlossen. Sie arbeitet derzeit an der Frage, welche politischen Instrumente und Governance-Mechanismen für die Landnutzung entwickelt werden sollen, um Biodiversität und Ökosystemleistungen zu erhalten. „Am Ende sollen Szenarien und Wege beschrieben werden, wie sich politisch gewünschte Ziele und hier insbesondere die Ziele der UN-Konvention zur Biodiversität umsetzen lassen“, so Fürst. Dabei muss das Team die sehr unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen, etwa in demokratisch verfassten Staaten und Diktaturen berücksichtigen. Die langen Aushandlungsprozesse in den Plenarsitzungen können auch frustrieren: „Mitunter wird dann um Halbsätze gefeilscht und es entstehen viele Allgemeinplätze. Ich könnte so etwas nicht“, sagt sie und lacht.
Trotzdem lohnt sich die Arbeit für die Forscher auch auf einer persönlichen Ebene. „Ich habe jetzt ein noch wesentlich tieferes, konkreteres Verständnis meines benachbarten Forschungsfeldes“, so der Brite Paxton. Dadurch wisse er, wo es in der Forschung noch Leerstellen gibt: „Wir wissen zwar, dass wir weltweit viele Bestäuber verlieren, welche konkreten Folgen das für die Bestäubungsleistung in einzelnen Regionen, für einzelne Pflanzen hat – dazu gibt es bisher wenige Studien.“ Dieses neue Feld will Paxton künftig weiter erforschen.
Christine Fürst ergänzt: „Bei IPBES arbeite ich mit Kolleginnen aus den Sozialwissenschaften zusammen, die ich sonst nie getroffen hätte. Das ist extrem inspirierend!“ Mit ihren neuen Kollegen hat sie nun bereits einen Projektantrag eingereicht, in dem es darum geht, hydrologische Ökosystemleistungen in der Raumplanung in verschiedenen europäischen Staaten besser zu verankern.
Bis 2019 laufen die Arbeiten an den einzelnen Kapiteln beim Weltbiodiversitätsrat. Dann soll der erste abschließende Bericht zur globalen Lage der Artenvielfalt und der Ökosystemleistungen vorliegen. Bis dahin müssen die über 150 Forscherinnen und Forscher, noch einige Arbeitspakete bewältigen. Josef Settele vom UFZ in Halle wird den Prozess bis zum Schluss begleiten.
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES
IPBES steht für „Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services”. Die Organisation wurde im Dezember 2010 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen ins Leben gerufen und hat ihren Sitz seit 2012 in Bonn. IPBES versteht sich als wissenschaftliches, zwischenstaatliches Gremium, das objektive Informationen zur globalen Artenvielfalt und zu Ökosystemleistungen für politische Entscheidungsträger aufbereitet. Das Gremium besteht aus über 150 Experten aus 127 Mitgliedsstaaten. Ziel ist es, eine umfassende Übersicht über den Stand zur biologischen Vielfalt und zu Ökosystemleistungen zu liefern und darauf basierend Empfehlungen für die Politik zu entwickeln, welche Maßnahmen zum Erhalt der Artenvielfalt notwendig sind.