Damit die Steppe wieder lebt
Große Freude bei Prof. Dr. Manfred Frühauf: Rund 3,2 Millionen Euro wird das Bundesministerium für Bildung und Forschung in den nächsten fünf Jahren für das Projekt zur Förderung nachhaltiger Landnutzung in der Kulunda-Steppe zur Verfügung stellen. Geld, das für die Erforschung des Problems dringend gebraucht wird, andernfalls scheint es kaum mehr möglich, der fortwährenden Zerstörung der Steppenböden Einhalt zu gebieten.
Das Untersuchungsgebiet – die zu Russland gehörende westsibirische Kulunda-Steppe – wird noch heute zum Teil von deutschstämmigen Siedlern bewohnt. Die Bedeutung dieser Landschaft als Kornkammer hat stetig zugenommen. Auch, weil Russland in den vergangenen Jahren kleiner geworden ist: „Nach der staatlichen Selbständigkeit der Ukraine und Kasachstans hat sich die landwirtschaftliche Anbaufläche drastisch reduziert“, sagt Frühauf.
Bereits in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Kulunda-Steppe erstmals für den exzessiven Getreideanbau genutzt. Weil sein Volk nicht satt wurde, ließ der damalige sowjetische Staatschef, Nikita Chruschtschow, das rund 420.000 Quadratkilometer große Gelände – eine Fläche, etwa so groß wie Deutschland und Österreich zusammen – neu bestellen. Zunächst ging der Plan auf und die Versorgungslage entspannte sich.
Doch Chruschtschow hatte zu kurz gedacht, denn in dem Maß, in dem sich die Kornkammern füllten, verschlechterte sich der Zustand des Bodens. Der Grund: Unangepasste, nicht nachhaltige Nutzung.Frühauf, seines Zeichens Sprecher des interdisziplinären Verbundprojekts, kennt die Kulunda-Steppe wie kaum ein anderer.
Seit mehr als 20 Jahren unterhält er wissenschaftliche Kontakte zu Forscher-Kollegen in Barnaul, einer Universitätsstadt, die im Vorland des Altaigebirges an der Grenze zu Kasachstan liegt. Er kennt die geschundenen Böden aus eigener Anschauung: Das fortwährende Pflügen hat tiefe Ackerfurchen hinterlassen.
Das raue Klima hat zudem dafür gesorgt, dass sie schnell ausgetrocknet sind und der Boden aufgebrochen ist. „Dadurch ist auch der darunter liegende Humusboden weggeweht worden. Die Folge war eine massive Bodenerosion“, erklärt Frühauf. Die zentrale Frage seiner Arbeit ist deshalb: Wie kann man einen derart erodierten Boden umnutzen? „Wir müssen nach Nutzungsstrategien suchen, die auch an die veränderten klimatischen Bedingungen angepasst sind“, sagt der 61-Jährige.
Doch es geht um mehr: Auch zur Reduzierung von Treibhausgasen soll beigetragen werden. Denn Böden sind der wichtigste Kohlenstoffspeicher auf der Erde. Werden sie exzessiv bearbeitet, wird Kohlenstoff frei, der sich mit Sauerstoff zum Treibhausgas Kohlendioxid verbindet. Schafft man es also, mehr Kohlenstoff im Boden zu speichern, trägt man zugleich zum Klimaschutz bei.
Derzeit laufen in der Kulunda-Steppe diverse Versuchsanordnungen. Die Wissenschaftler experimentieren unter anderem mit fünf verschiedenen Bearbeitungs- und Fruchtfolgen. Dabei werden vermehrt organische Substanzen in den Boden eingebracht, wodurch sich wieder nährstoffreicher Humus bilden kann. Außerdem wird auf das bisher übliche Pflügen fast vollständig verzichtet. Die Saat wird stattdessen punktgenau in eine nur noch drei bis fünf Zentimeter tiefe Ackerfurche eingebracht. Erste Ergebnisse zeigen: Die Böden erholen sich – und durch den höheren Nährstoffgehalt kann der Ertrag tatsächlich gesteigert werden.
Klingt einfach und ist doch schwer in der Umsetzung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse allein reichen nicht aus, um den zerstörerischen Prozess der Bodenerosion zu stoppen. Sie müssen auch bei den Landbauern vor Ort Gehör finden. „Um nach den neuen Methoden arbeiten zu können, müssen sie neue Landtechnik anschaffen“, erklärt Frühauf. „Doch das werden sie nur tun, wenn sie vom Sinn dieser Investition überzeugt sind.“ Nur, wenn die Bauern merken, dass sich die Erträge tatsächlich steigern lassen, werden sie einen Kredit für neues Gerät aufnehmen. „Es gilt also, Überzeugungsarbeit zu leisten“, sagt Frühauf.
Das Projekt, in das mehrere deutsche Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute sowie russische Partner eingebunden sind, sieht er auch als Hilfe zur Selbsthilfe. Denn wenn die Wissenschaftler nach fünf Jahren wieder weg sind, soll die neue Arbeitsweise in der Kulunda-Steppe zum Selbstläufer werden.
Wenn alles gut läuft, dann wird zum Schluss jeder der Akteure etwas vom Kulunda-Projekt haben: Die Menschen vor Ort mehr Ertrag, die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse und durch den positiven Klimaeffekt – wenn man so will – sogar die Weltbevölkerung. „Das ist echte Nachhaltigkeit“, sagt Manfred Frühauf.